39,90 – Eine Filmanalyse

Ein Film als Spiegel der heutigen Konsumgesellschaft.

Der Mensch ist ein Produkt wie jedes andere. Mit einem Verfallsdatum.“ Ein hübsches Paar steht, in inniger Umarmung, an einem idyllischen Strand. Die Kamera entfernt sich von dem Paar und die Illusion erlischt. Der Traumstrand entpuppt sich als Werbeplakat und statt wärmender Sonne regnet es in Strömen. Mitten in diesem Platzregen steht ein Mann am Rande eines Hochhauses, bereit seinem Leben ein Ende zu setzen. Der Mann springt, eine Rückblende setzt ein. Willkommen in der Welt eines Kreativen in der Werbebranche.

Die Handlung aufgerollt

In einer Zeit, in welcher die Werbeindustrie zu einer erschreckenden Größe herangewachsen ist, gewinnt die Geschichte eines Werbefachmanns als Insider durchaus an Bedeutung. Octave Parango ist so ein Insider, ein junger Mann, der als Texter für eine der größten Werbe-Agenturen Frankreichs arbeitet und in wenigen Minuten die Slogans kreiert, die uns tausendfach in Spots und auf Plakaten präsentiert werden. Er entscheidet heute, was die Welt morgen kauft und wird dafür fürstlich entlohnt. Octaves Leben scheint perfekt, doch wie in der Werbung üblich, spiegelt dieser Schein keinesfalls die Realität wieder.

Denn anders als man es erwarten würde, ist Octave nicht glücklich. Er sieht sich in seinem Beruf nicht als Genie, sondern als Kollaborateur, der sich an der Verdummung und Ausbeutung der Menschen beteiligt. Doch er muss seine Kritik am System, an der Ungerechtigkeit und der Scheinheiligkeit seines Berufs herunterschlucken, um weiterhin Erfolg haben zu können. Um das zu schaffen, helfen Drogen, wilde Partys und sexuelle Abenteuer. Währenddessen ist Octave längst arrogant, egoistisch und zynisch geworden und verachtet sich und sein Leben. Als er seine große Liebe Sophie kennenlernt und dann von sich stößt, nachdem diese ihm einen positiven Schwangerschaftstest unter die verkokste Nase hält, zerbricht der Selbstschutz, den sich Octave über die Jahre erschaffen hat. Die auf Selbstbetäubung errichtete Scheinwelt stürzt so endgültig in sich zusammen. Nach einer Überdosis Kokain wird Octave in eine Entzugsklinik verfrachtet und soll sich dort erholen. Als er entlassen wird, muss er erfahren, dass sich sein Vorgesetzter erschossen hat, nachdem dieser überraschend aus der Agentur geworfen wurde. Octave fasst den festen Entschluss, den Tot des Kollegen zu rächen und seiner Agentur einen empfindlichen Schlag zu versetzten, indem er einem der wichtigsten Kunden durch einen manipulierten Werbespot massiven Schaden zufügt. Nachdem Octave seinen Racheplan erfolgreich durchführen konnte, feiert er mit seinen Komplizen den Coup mit einem hemmungslosen Drogenrausch. Im Rahmen des völligen Kontrollverlustes überfährt und tötet Octave einige Menschen und entkommt nur knapp der Polizei. Nach dem Trip, zurück in der Agentur, muss Octave erfahren, dass sich Sophie zusammen mit seinem Vorgesetzten erschoss. Weiterhin konnte die Polizei den Werbemacher aufspüren und will ihn festnehmen. In seiner Verzweiflung flieht Octave auf das Dach der Agentur und stürzt sich von diesem in den Tod. Damit schließt sich der Kreis zum Anfang des Films und der Film endet.

Doch der beginnende Abspann wird unterbrochen und dem Zuschauer wird ein alternatives Ende angeboten. Dieses setzt nach dem ungehemmten Drogenrausch ein, bei welchem Octave mehrere Menschen überfuhr. In dieser Alternativhandlung stellt sich jedoch heraus, dass nicht wirklich Menschen zu Schaden kamen, sondern Octave im Drogenrausch lediglich halluziniert hatte. Er sieht diese Erfahrung als zweite Chance und schließt endgültig mit seinem Leben in Paris ab. Also kostet Octave seinen Schlag gegen die Werbeindustrie in vollen Zügen aus, täuscht den eigenen Tot vor und setzt sich irgendwo in Südamerika ab, wo er als Eremit ein Leben im Dschungel führen will. Allerdings will die romantische Vorstellung des Aussteigerlebens in der Wildnis nicht aufgehen und nach kurzer Zeit droht Octave zu verhungern. Einheimische retten den Fremden und nehmen ihn in ihrer Gemeinschaft auf. Nach einiger Zeit erscheint Sophie mit der gemeinsamen Tochter, sodass die die Familie glücklich vereint zusammenfindet.

Es zeigt sich, dass die Szene der Wiedervereinigung mit einiger Bildbearbeitung zu dem Werbeplakat wurde, welches Octave, als er sich vom Agenturdach warf, erblickte und mit welchem der Film seinen Anfang nahm. Damit verschwimmen die Enden miteinander, sodass kein eindeutiges Ende festgemacht werden kann.

Romanverfilmung mit starker Hauptrolle

39,90 (Originaltitel: 99 francs) ist eine Verfilmung des gleichnamigen Romans Neununddreißigneunzig von Frédéric Beigbeder. Beigbeder arbeitete Jahre für die Werbeagentur Young & Rubicam und wollte mit seinem Buch aufzuzeigen, was sich hinter den Kulissen der Werbung abspielt. Weiterhin verfolgte Beigbeder das Ziel, mit der Veröffentlichung des Romans und dem damit verbundenen Insiderwissen gekündigt zu werden. Entsprechend tragen Roman als auch die Verfilmung autobiografische Züge. Der Titel ist eine Anspielung auf den Verkaufspreis des Romans zur Veröffentlichung (DM 39,90 deutsche Erstausgabe).

Während der Roman 2001 erschien, feierte die Verfilmung 2007 ihr Debüt. Als Regisseur verdingte sich Jan Kounen, welcher in den Neunzigerjahren mit Kurzfilmen und Musikvideos Bekanntheit erlangte, während seine Filmografie stark von Romanverfilmungen geprägt ist.

In der Rolle der Hauptfigur Octave versteht es der französische Schauspieler und Komiker Jean Dujardin zu brillieren. Dabei schafft es Dujardin die innere Zerrissenheit des erfolgreichen Werbemachers zu verkörpern, der selbstverliebt und zugleich selbst verachtend am Rande des totalen Ausfalles zu stehen scheint. Die große Leistung Dujardins liegt in seiner Fähigkeit, dem Zuschauer Sympathie gegenüber dem dem eigentlichen Unsympathen und Antihelden Octave abzugewinnen. Man erkennt den verletzlichen Menschen, der Opfer einer Welt wurde, die er selbst geschaffen hat. Einer künstlichen Welt, in der alles käuflich und jeder zu ersetzen ist. Mit Dujardins Können steht und fällt dieser Film, denn er ist komplett auf seine Hauptfigur angewiesen. Ohne zerfällt 39,90 zu einer Anklage gegen die Werbung, welcher jedoch die so wichtige Identifikationsfigur fehlen würde. Dujardin macht das Geschehen greifbar, den in einer seelenlosen Industrie arbeitenden Octave menschlich und die Botschaften des Films so zugänglich. Die oft absurden Situationen, in welchen sich Protagonist Octave wiederfindet, sind dabei immer vielschichtig angelegt und tragen zumeist einen bitteren Beigeschmack. Etwa als Octave Tamara, einem Callgril mit welchem er niemals schläft, zu mehr Selbstachtung auffordert, als diese vor ihm Masturbieren soll. Es offenbart den Wunsch des Kreativen nach etwas, was er selbst schon längst verloren und aufgegeben hat. Eine weitere Szene, die nachdenklich stimmt, ist die, in der Octave von seinen Kollegen erfährt, dass sich sein Vorgesetzter erschoss. Diese zeigen sich zwar schockiert, aber sind nicht überrascht. Und kurz nachdem die bedrückende Botschaft überbracht wurde, steht wieder der aktuelle Auftrag für den Kunden im Fokus. Es bleibt keine Zeit für Trauer, keine Pause um sich zu erholen. Octave verlässt die Entzugsklinik und ist direkt wieder in der erbarmungslosen Welt seiner Branche gefangen, die keine Rücksicht auf Verluste nimmt. „Ein Creative Director der im Himmel ist, wird durch einen lebenden Creative Director ersetzt“.

Die Botschaften, die der Film immer wieder in seinen überspitzten Szenen vermittelt oder zumindest andeutet, sind also durchaus subtil. Ganz im Gegensatz zum eigentlichen Film selbst. 39,90 ist schrill, laut und provokant, bedient sich selbst bei allen Mitteln der Werbung und setzt diese gezielt ein. Dabei werden typische Merkmale der Werbung in die Szenen eingebunden, sodass diese stellenweise selbst zu Werbeparodien werden. Dafür wird für die Werbung gebräuchliche Musik unterlegt, mit schnellen Collagen aus Bildern gearbeitet und Marketingslogans, Preise sowie Strichcodes eingeblendet. Hier macht sich auch Kounens Erfahrung in der Musikindustrie bemerkbar, da einige Szenen in ihrer Machart durchaus an gängige Musikvideos erinnern. Insgesamt weist der gesamte Film einen aggressiven, aufdringlichen Stil auf, was völlig im Einklang mit der Romanvorlage selbst steht. Das Drehbuch folgt dabei dem Roman, behält sich aber die notwendigen, filmischen Freiheiten vor. Beispielweise wird statt dem brutalen Mord, welchen Octave im Drogenrausch begeht, lediglich eine animierte Sequenz im Comic-Stil dargestellt, bei der Menschen überfahren werden. In dieser Sequenz ist alles in surreale Farben und Animationen gezwängt, das reale Geschehen davon ummantelt. Eine sicherlich schon damals nicht neue, aber dennoch gute Methode, den völligen Realitätsverlust eines Drogenrausches visuell verträglich zu vermitteln. Denn obwohl man von den brutalen Mord-Szenen des Buches Abstand nimmt, wird deutlich die Tötung eines Kleinkindes gezeigt, was der unter Drogen stehende Octave lediglich mit einem verunsicherten Lachen quittiert. Geschickt wird hier das brutale Sterben von unschuldigen Menschen in poppiger Animations-Ästhetik präsentiert. Makaber, aber doch zielsicher in dem, was es zu porträtieren gilt.

Feuer mit Feuer bekämpfen

Das Resultat ist eine gelungene Buchadaption, die gekonnt auf die Besonderheiten der Vorlage eingeht und diese für das Medium Film umsetzt. 39,90 geizt nicht mit Spezialeffekten und anderen Spielereien der Filmtechnik. Gekonnt wird ein buntes Effekt-Feuerwerk abgebrannt, welches gut die von Drogenkonsum gefärbte Handlung darstellt. Animationen, Großaufnahmen, schnelle Schnitte, Bildcollagen, Einsatz der Froschperspektive und Off-Kommentare werden hier im großen Stil und fast schon inflationär eingesetzt. Das Medium Film ist in der Lage, uns mit seinen Bildern einem endlosen Strom an Informationen auszusetzen, sodass ein nicht zu unterschätzendes Wirkungspotenzial geschaffen wird. Diesem Potenzial ist sich Kounen völlig bewusst und setzt auf eine maximale Stilisierung der Bilder, um mit allen perfiden und manipulativen Mitteln der Werbeästhetik die Geschichte des Films zu erzählen. Eine Geschichte der Verzweiflung, die dann aufkommt, wenn in einer Welt der Oberflächlichkeit die Frage nach einem tieferen Sinn erwächst, aber unbeantwortet bleibt. Eine Verzweiflung, die im Flutlicht der kommerzialisierten Werbewelt zu einem grotesken Selbsthass mutiert, dem man nicht entkommt, sondern nur betäuben kann. Doch statt uns diese Botschaft einfach vorzusetzen, wird der Zuschauer von einer Flut von Bildern und Effekten erfasst. Allgemein sind die Effekte allesamt gelungen und in den letzten Jahren gut gealtert. Eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, was hier unter anderem dargeboten wurde. In einer Szene wird der im Weltraum schwebende Octave von einem gigantischen Embryo „zurück ins Leben geschubst“, als dieser aufgrund einer Überdosis kurz davor steht, zu sterben. Somit wechseln sich absurde Büroszenen mit albtraumhaften Sequenzen ab, was, wie alle stilistischen Mittel des Films, eine wirkungsvolle Dynamik entwickelt. Hinzukommt ein starker Bezug auf unsere Kulturgeschichte, wobei zahlreiche Referenzen aus Film und Literatur herangezogen werden. Neben Anspielungen auf Fight Club (1999) und 2001: Odyssee im Weltraum (2001: A Space Odyssey, 1968) ist auch die typische Spiel mir das Lied vom Tod (C’era una volta il West, 1968) Musik zu hören, als Octaves Werbekonzept vom Marketing Director Alfred Duler abgeschmettert wird. Insgesamt ist die musikalische Untermalung sowohl von Techno, aber auch Klassik geprägt, die bunt gemischt und im Wechselspiel eingesetzt werden. Das ganze grenzt an Reizüberflutung, was ja durchaus dem Naturell der Werbung entspricht. Tatsächlich erinnert 39,90, Thema und Aufmachung geschuldet, Stellenweise an eine Dauerwerbesendung. Hier scheint man Feuer mit Feuer bekämpfen zu wollen, die Werbung mit der Werbung selbst.

Für den Zuschauer ist dieser Ansatz sicherlich ein zweischneidiges Schwert. Der offensive, laute und schrille Stil passt zur Kampfansage gegen die Werbung, wirkt auf die Gesamtlänge des Films bezogen letztlich aber ernüchternd. Hier macht es sich bemerkbar, dass es dem Film neben Hauptfigur Octvace an starken und vor allem präsenten Charakteren fehlt. Natürlich haben wir da den besten Freund und Kollegen Charlie, die Verflossene Liebe Sophie oder auch das Callgirl Tamara, aber all diese Figuren werden nur oberflächlich behandelt. Der Geschichte mangelt es an Tiefgang, welcher Abseits der inneren Zerrissenheit der Hauptfigur stattfindet. Doch wie schon in der Romanvorlage werden uns lediglich Stereotypen vorgehalten. Das mag nicht zwingend etwas schlechtes sein, immerhin sind Stereotypen ein gutes Mittel, um eine Mehrheit zu beschreiben und eben auch verbildlichen zu können. Auch passt dieses Oberflächliche gut in die dargestellte Welt der oberflächlichen Werbeindustrie. Dennoch hätte mehr Komplexität dem Film gut getan, der so ein wenig zu laut an uns vorbeirauscht. Und während ein großer Teil ein wenig zu laut und wild ist, bildet das alternative Ende, das Aussteigerleben Octaves, einen zu starken Kontrast. Diesem Abschnitt wurde deutlich zu viel Bildschirmzeit zugeschnitten, da es bis auf die Wendung am Ende wenig an Inhalt zu bieten hat. Dadurch zieht sich das Ende unnötig in die Länge und der Film verliert die aggressive Dynamik, der er sich in seinem rasanten Verlauf aufgebaut hat. Das bremst eben auch die eigentliche Botschaft aus, sodass vieles dem Blick entgeht und sich erst nach mehrmaliger Ansicht offenbart.

Und das ist wirklich Schade, denn die Relevanz des Films ist in den letzten Jahren noch erheblich gestiegen. Denn 39,90 schafft es eine Botschaft zu vermitteln, die weit tiefer greift, als die bloße Kritik an der Werbung und der Konsumgesellschaft, welche dahinter steht. Denn die eigentliche Tragik liegt nicht darin, dass sich Werbemacher Octave am System stört und dessen Perversion erkennt. Das war schon zur Veröffentlichung des Romans keine Neuheit, besonders die Werbebranche hat alles andere als einen guten Ruf. Die Wirkliche Essenz des Films offenbart sich mit dem alternativen Ende, welches den Zuschauer in einer Art Endlosschleife entlässt, indem er zum Anfang zurückkehrt und eine Verbindung mit dem ersten Ende eingeht. Das vermeintliche Happy-End entpuppt sich nur als weitere Facette der Werbung, der Wiederholung. Geschichte wiederholt sich, sodass der Mensch verdammt ist, immer wieder die selben Fehler zu machen. Und so, wie sich die Fehler der Menschen wiederholen, wiederholt sich auch die Werbung. Die eigentliche Tragik ist somit nicht das Erkennen des perversen Systems, in welchem wir stecken, sondern die Tatsache, dass wir dagegen nichts unternehmen können. Der Film schreit seine Botschaft heraus, mit dem Bewusstsein, dass diese bereits bekannt ist. Es findet nur keine Veränderung statt. Das vermeintliche Happy-End ist ein Sinnbild für diese Pattsituation, wenn sich das Aussteigerleben Octaves samt der glücklichen Wiedervereinigung mit der Familie als ein von der Werbung geschaffenes Ideal entpuppt, welches ebenso künstlich und surreal ist, wie die schlecht synchronisierte Werbefamilie, die lauthals einen Schokoriegel anpreist. Nicht das Erkennen der Probleme löst hier den Zusammenbruch aus, sondern das Erkennen der völligen Machtlosigkeit wirklich etwas dagegen unternehmen zu können. Octave erkennt, dass er ein Teil des Systems ist, Mitschuld trägt und nicht nur Manipulator, sondern auch Manipulierter ist. Doch er kann an dem System nichts ändern. Verweigert er sich, wird er ersetzt und alles unverändert seinen gewohnten Lauf nehmen. Das macht ihn krank, darum braucht er Drogen, um die eigene Schuld zu vergessen und weiterhin zu funktionieren, um dabei nur noch mehr Schuld auf sich zu laden. Ein Teufelskreis, der kein wirkliches Entkommen zulässt, wie der Film uns mit seinen verwobenen Enden offenbart. Ein Teufelskreis, in welchem wir uns wohl alle befinden. Und wie Protagonist Octave, schreit eben auch 39,90 seine Botschaft, gegen die Werbung, gegen das System, in dem Wissen, daran nichts ändern zu können. Dass sich Kounen und Beigbeder dieser Tatsache völlig Bewusst waren, zeigen die letzten Bilder des Films, indem Werbung für 39,90 (99 francs) selbst präsentiert wird. Es ist diese Selbstreflexion, welche 39,90 deutlich von einem bloßen Protestschrei abhebt und zu einem Spiegel der heutigen Konsumgesellschaft macht, der uns nur selten in dieser härte vorgehalten wird.

Natürlich kann ein Film die Welt nicht verändern, muss für sich werben und letztlich auch finanziert werden. Hier sei angemerkt, dass die Verfilmung des Romans nicht deshalb solange auf sich warten ließ, weil sich keiner für die Umsetzung interessierte, sondern weil die üblichen Geldgeber eine Zusammenarbeit ablehnten. Diese Geldgeber, allen voran französische Privatsender, leben nämlich selbst von der Werbung und wer beißt schon in die Hand, die einen füttert? Dies verdeutlicht, wie dicht sich 39,90 am Puls der Zeit bewegt.

Fazit

Leider leistet sich 39,90 am Schluss dann doch noch einen Schnitzer, welcher im Nachsatz aufkommt. Denn statt den Film mit der Werbung für sich selbst Enden zu lassen, was die Prämisse, das Gefangen sein in einem verhassten System, gut versinnbildlicht, wird uns noch eine letzte Aussage präsentiert. So wird der beginnende Abspann sinngemäß folgend eingeleitet: „Mit nur 10% des weltweiten Werbebudgets könnte der Hunger auf der Welt halbiert werden“. Das Problem an dieser Aussage ist der fehlende Bezug zum Film selbst. 39,90 schreit seine Botschaft den gesamten Film über mit voller Kraft heraus, sodass dieses Schlusswort absolut überflüssig erscheint. Statt es dem Zuschauer selbst zu überlassen, wie er mit dem Film umgeht, wird hier eine moralische Instanz geschaffen, welche an die Polemik der Werbung selbst erinnert. Damit nutzt man die zuvor noch kritisierten und parodierten Mittel, um die eigene Agenda zu untermauern, was letztlich die eigentliche Botschaft des Films, seine Integrität, untergräbt.

Dennoch halte ich 39,90 für einen gelungenen Film, der mehr ist, als es zunächst den Anschein hat. Der Film ist schnell, laut und ironisch, schafft es aber dennoch, die gewünschte Kritik zu vermitteln. Moralische Grenzen werden überwunden, die Wirklichkeit schmerzlich karikiert. Dabei wird gekonnt die Ästhetik der Werbung selbst aufgegriffen und eine Flut an Bildern geschaffen, die den Zuschauer mit sich reißt. In 39,90 wird eine tragische Geschichte der inneren Zerrissenheit, menschlichen Oberflächlichkeit und gesellschaftlicher Ungerechtigkeit im Stile einer Dauerwerbesendung präsentiert, die zum nachdenken einlädt. Hier wird das volle Potenzial des Mediums Film ausgeschöpft und mit zahllosen Bildmanipulationen auf eine absurde Spitze getrieben. Besonders das alternative Ende hat mich beeindruckt, zeigt es mit einer einfachen Wendung die Ausweglosigkeit und damit die eigentliche Prämisse, die der Film vermitteln will. 39,90 ist keine schockierende Offenbarung, die wachrüttelt und ein perfides System bloßstellt. Viel mehr wandelt sich die Kampfansage gegen die Werbung zu der Erkenntnis, dass wir letztlich alle in diesem System gefangen sind und dass das Entkommen aus diesem lediglich eine Illusion, ein Wunschtraum ist. „Man kann alles kaufen: Die Liebe, die Kunst, den Planeten Erde, Sie und mich. Vor allem mich.

Johann von Ti
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