Europa Universalis 4 – Hassliebe

Es ist schon erstaunlich, wie tief man in die Welten eines Videospiels gezogen werden kann. Eine besondere Anziehung haben auf mich die diversen Strategie-Titel von Paradox Entertainment. Ob nun Europa Universalis, Crusader Kings oder Hearts of Iron – all diese Titel bieten eine unglaublich immersive Spielerfahrung, ohne dabei mit optischer Pracht zu glänzen. Im Gegenteil – vor allem „trockene“ Zahlen und einiger Text will verarbeitet werden, damit wir in diesen Spielen vorankommen können. Und ich muss gestehen; vor allem als Anfänger fühlt sich das durchaus wie Arbeit an. Statt einfach los zu spielen, sieht man sich zunächst gänzlich erschlagen von Werten, Statistiken und Optionen. Durch unzählige DLCs werden zudem immer mehr Spielmechaniken ergänzt, sodass am Ende wahre Schwergewichte des Strategie-Genres bereit stehen.

Aller Anfang ist schwer

All diese Titel leben von ihrer irrsinnigen Komplexität, welche endlose spielerische Möglichkeiten erlaubt, sofern man als Spieler die jeweiligen Kniffe kennt. Ich persönlich habe mich aktuell am meisten an Europa Universalis 4 versucht und entwickelte dabei eine wahre Hassliebe. Das fängt schon mit der Auswahl der Startnation an; ich habe mich für das Herzogtum Brandenburg im Startjahr 1444 entschieden – wohl eher nichts für Anfänger, wie ich nach etlichen Spielstunden feststellte. Hier startet man mit recht bescheidenen Ausgangsbedingungen und muss schnell und geschickt expandieren, um später nicht unter die Räder von Böhmen oder Polen zu geraten. Besonders als Anfänger war ich gänzlich überfordert – die Weltkarte tut sich auf, einige Provinzen stehen unter meiner Kontrolle, ein wenig Geld mit einem hauchdünnen monatlichen Plus und gut 8000 Männer stehen unter Waffen bereit. Das Spiel ist pausiert und doch erhalte ich umgehend die ersten Benachrichtigungen – wähle Deine Rivalen aus!

Europa-Universalis-4-Start-mit-Brandenburg

Das Herzogtum Brandenburg muss sich seinen Platz in der Welt erst noch erkämpfen – welchen Weg man dabei beschreitet und auf wessen Seite man sich dabei schlagen wird, entscheidet sich in jedem Spiel neu.

Und damit begann ein Lernprozess, welcher nach etlichen Spielstunden noch lange nicht abgeschlossen zu sein scheint. Unser Verwaltungsmenü untergliedert sich in starke 14 Unterpunkte, die es uns ermöglichen, jegliche Aspekte im Herzogtum zu steuern. Unser Hofstaat, die Regierungsform, diplomatische Beziehungen, die Wirtschaft, der Handel, technologische Entwicklungen, militärische Organisation und religiöse Ordnung wollen von uns koordiniert und bedacht werden. Zeitgleich müssen wir uns gegenüber den einflussreichen Ständen bewähren; ich als Herzog Brandenburgs muss mich mit dem Adel, den Bürgern und dem Klerus auseinandersetzen, möchte ich die Stabilität im Land erhalten und nicht mit unliebsamen Rebellionen konfrontiert werden. Am Ende dreht sich aber (fast) alles um militärische Stärke, diplomatisches Geschick und finanzielle Mittel. Ich persönlich liebe in solchen Spielen die diplomatischen Aspekte – eine simulierte Welt mit hunderten Fraktionen und Splitterparteien – endloses Potenzial für taktisches Packtieren, hinterhältige Intrigen und globale Konflikte. Meine bisherigen Highlights waren die Auswüchse des Reformationskrieges, welche in jedem Spieldurchlauf erstaunliche Bündnis-Konstellationen hervorbrachten und nicht selten in totalem Chaos endeten.

Europa-Universalis-4-Globale-Konflikte

Wenn hunderte Nationen und Kleinstaaten in einen globalen Konflikt wie den Dreißigjährigen Krieg gezogen werden, dann wird es schnell unübersichtlich. Hunderttausende Soldaten marschieren plötzlich durch die Landen und sorgen für Verwüstung und Chaos.

Probieren, studieren und bluten

Doch selbst jetzt bin ich mit vielen Spielmechaniken nur bedingt vertraut – das Handelssystem, die Truppenverwaltung oder der wirtschaftliche Ausbau bieten jeweils ganz eigene und dabei eben auch komplexe Möglichkeiten, die in ihrer Gesamtheit erlernt und verstanden werden wollen. Durch die Spieldauer werden zum Beispiel technologische Entwicklungen immer wichtiger, die Entdeckung Amerikas spielt eine Rolle, die Sicherung von Handelsknotenpunkten bringt enormen Reichtum und soziale wie religiöse Umbrüche versprechen Chaos, in welchem man untergehen oder aber glorreich hervorgehen kann. Und was soll ich sagen; bislang sind meine Spieldurchläufe zwar durchaus von ersten Erfolgen durchsetzt, enden dann aber doch in militärischen oder diplomatischen Vollkatastrophen. Das hängt auch damit zusammen, dass ich das Spiel im „Ironman-Modus“ spiele. Das bedeutet: Kein freies Speichern – läuft etwas schief, gibt es kein zurück und jede Entscheidungen muss mit all ihren Konsequenzen ausgelöffelt werden. Zwar lässt sich das Spiel auch ohne diesen Modus spielen, jedoch würde mir spielerisch einfach die Tragweite meiner Entscheidungen fehlen, weil ich ja immer wieder einen Rückzieher machten könnte (zudem würden auch keine Achievements vergeben).

Europa-Universalis-4-Diplomatie

Wer nicht untergehen will, braucht Verbündete – wer zu wenig Zeit in ein paar gute Allianzen steckt, kann nach einigen erfolgreichen Konflikten auch plötzlich einem feindlichen Bündnis gegenüberstehen, dem man dann wenig entgegenzusetzen hat.

Sicherlich nicht der schlauste Ansatz für einen Anfänger, da ein Durchlauf mit einfacheren Schwierigkeitsgrad, einer anfängerfreundlichen Nation (ja, Brandenburg zählt nicht zu diesen) und der Möglichkeit frei zu speichern und zu laden wohl deutlich entspannter als auch lehrreicher gewesen wäre. Doch jetzt möchte ich auch nicht mehr zurück – der „eisenharte“-Modus ist für mich durchaus ein spielerischer Anreiz. Dennoch ist es eine Hassliebe, die mich durch Spielsitzungen trägt. Mittlerweile sind die ersten Jahre im Spiel schon recht routiniert; erste Landgewinne, wichtige, diplomatische Erfolge und eine stetiger wirtschaftlicher wie technischer Fortschritt. Während ich im Handel gelinde gesagt noch ziemlich blind agiere, bin ich diplomatisch und militärisch oft auf einem guten Weg. Doch leider spiele ich mich nach einigen Spielstunden in einer Runde viel zu oft an die Wand – wenn zum Beispiel ein eigentlich leicht zu gewinnender Krieg gegen einen kleinen Nachbarn in einem langwierigen Konflikt ausartet und mich in finanzielle Bedrängnis treibt. Auch ein unverhoffter Aufstand im Land, weil ich dem Adel zu wenig Zugeständnisse machte, kostete mich schon Spielstände. Und läuft es dann ausnahmsweise mal besonders gut, werde ich zu übermütig und expandiere zu schnell – die Folge: zahlreiche Fraktionen schmieden eine Allianz gegen mich und auf einen Schlag führt man einsam Krieg gegen halb Europa. Und so enden viele Runden nach zahlreichen aufopferungsvollen Stunden mit der Rückgabe von zuvor hart erkämpften Gebieten, sodass ich im glücklichsten Falle auf mein Startgebiet zurückfalle.

Europa-Universalis-4-Religiöse-Ansicht

Hier ist die religiöse Ansicht zu sehen – in blau sind die protestantischen Reformationszentren zu sehen, während gelb die Gebiete des katholischen Glaubens widerspiegelt. Diese kleinen Keimzellen des Protestantischen Glaubens werden sich weiter ausbreiten und letztlich den Dreißigjährigen Krieg heraufbeschwören.

Wiederspielwert mit Suchtpotenzial

Dennoch reizt es mich immer wieder, erneut Zeit in dieses Spiel zu stecken und ein weiteres mal mein Glück zu versuchen. Tatsächlich lernt man mit jeder Niederlage dazu und jeder Spieldurchlauf verspricht unterschiedlichste Entwicklungen. Der Wiederspielwert ist enorm und fast grenzenlos. Zeitgleich sorgt besagter „Ironman-Modus“ dafür, dass jede noch so kleine Entscheidung gut abgewägt werden muss. Kann ich mir diesen Krieg erlauben? Investiere ich genug in die Forschung? Unterstütze ich die Bürger und riskiere den Zorn des Adels? Kann ich meinem Bündnis-Partner vertrauen oder muss ich im Zweifelsfall damit rechnen, dass dieser mir in den Rücken fällt? In einem aktuellen Spielstand habe ich Preußen gegründet und den Dreißigjährigen-Krieg gegen eine übermächtige Katholische-Liga überstanden. Als der Dreißigjährige-Krieg ausbrach, war ich dem etablierten Standard der Waffentechnologie um Jahre hinterher – dadurch war meine Armee der beständigen Gefahr ausgesetzt, auch von zahlenmäßig unterlegenden Verbänden aufgerieben zu werden. Ich hatte also die militärische Forschung massivst vernachlässigt und drohte dadurch den Anschluss an meine Nachbarstaaten zu verlieren. Daher mischte ich mich mit meinem Truppen nur unterstützend ein, um in größeren Schlachten meinen Bündnispartnern unter die Arme zu greifen und selbst nicht zu große Risiken eingehen zu müssen (also eilt man nur da zur Hilfe, wo die Zeichen auch auf Sieg stehen). So konnte ich meine Kerntruppen über die Jahrzehnte des Krieges ganz gut erhalten, während ich zeitgleich größte Anstrengungen unternahm, den technologischen Rückstand aufzuholen – und letztlich ging die Strategie auf – zwar dauerte es bis zum Ende des Krieges, dennoch ging ich gestärkt aus dem Konflikt heraus.

Europa-Universalis-4-Dreißigjähriger-Krieg

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg – nach einem globalen Ereignis wie dem Dreißigjährigen Krieg können sich Machtverhältnisse schnell verschieben. Der Frieden ist also trügerisch und schon bald wird wieder jede Fraktion darauf bedacht sein, die eigenen Einflusssphären zu erweitern.

Doch eine überstandene Krise alleine ist wenig wert – der eigene Niedergang lauert an jeder Ecke, das Spiel bleibt dadurch durchgängig spannend und (für mich) herausfordernd. Schnell gerät man in diesen „nur-noch-eine-Runde“-Teufelskreis, welcher mich doch recht stark packt. Nur noch dieses Bauwerk fertigstellen – oh, ich stecke in eine Finanzkrise, das muss ich noch fix regeln – oh, mein Nachbar hat gerade religiöse Unruhen, der perfekte Zeitpunkt, mein Territorium zu erweitern – verdammt, sie haben Böhmen zum neuen Kaiser gewählt und immer so weiter. Umso ärgerlicher, wenn nach stundenlanger Regentschaft ein kleiner Fehler jeden Fortschritt zunichte macht. Europa Universalis 4 ist ein wahrer Zeitfresser, was meine Hassliebe nur noch befeuert. Die ständige Herausforderung, die Abwechslung und die spielerischen Möglichkeiten sorgen dafür, dass mich auch nach einer schändlichen Niederlage wieder Lust packt, es neu anzugehen und genau das ist für mich ein echtes Qualitätssiegel für ein Spiel, welches sich dann in Form meiner Hassliebe äußert – aber nun genug – ich muss da noch ein paar Angelegenheiten in Brandenburg klären…

Johann von Ti
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