Planescape: Torment – Das beste Buch, dass Du jemals spielen wirst

Planescape Torment - In der Leichenhalle

Dunkelheit. Der beißende Geruch von Essig und Ölen steigt in meine Nase. Nur schwer kann ich ein Husten unterdrücken. Ich öffne mit einiger Anstrengung meine schweren Augenlider. Nur langsam gewöhnen sich meine Augen an das flackernde Licht, welches von einigen Wandfeuern an die Decke geworfen wird und schaurige Schatten über den kalten Stein tanzen lässt. Langsam wandert mein Blick von der zum Teil rußgeschwärzten, steinerne Decke zu meinem Körper, welcher auf einer metallischen Bare zu liegen scheint. Kurz halte ich den Atem an, als meine Augen die vielen Narben streifen, welche meinen gesamten Körper zu bedecken scheinen. Ich versuche mich zu erinnern, was wohl passiert sein mag. Aber als ich in mich hineinhorche, springen mir nur gähnende Leere und Schwärze entgegen. Ich kann mich an nichts erinnern. Weder, wer ich bin, noch wie ich in diese missliche Lage geraten konnte. 

Langsam stemme ich mich hoch. Erst jetzt spüre ich die stechenden Schmerzen, die meinen ganzen Körper durchzucken. Dennoch kann ich mich auf den Beinen halten und lasse meinen Blick schweifen. Doch noch bevor ich meine düstere Umgebung genauer unter die Lupe nehmen kann, werden meine Gedanken vom Klang einer aufgeweckten Stimme erschüttert. Als ich mich umdrehe, um den Ursprung der Stimme zu fokussieren, stockt mir erneut der Atem. Während die Stimme weiter auf mich einplappert, muss mein Verstand verarbeiten, was er da gerade vorgesetzt bekommt. Vor mir schwebt munter ein Totenschädel, welcher zu allem Überfluss ganz klar die Quelle der Worte zu sein scheint, die mir da entgegen sprudeln. Die Frage danach, wie es ein Totenschädel vermag, ohne Zunge, Lunge oder Kehlkopf Worte zu formen, wird von der Frage bezüglich Flugfähigkeit des Knochenkopfs überschattet. „Hey Meister, bist‘ de Taub oder haben Dir die Staubis den Hörapparat zerhauen?

Auch wenn es mir schwer fällt, lasse ich mich auf das Gespräch mit dem fliegenden Knochenkopf ein. Er stellt sich mir als Morte vor und schwadroniert darüber, dass wir uns in einer Leichenhalle befinden und alle Ausgänge fest verschlossen sind. Wir sollten zusammenarbeiten, um diesem Loch zu entkommen, bevor man uns endgültig in die Totenbücher schreibt und in gefügige Zombie-Arbeiter verwandelt. Und tatsächlich schlurfen in einiger Entfernung einige Untote durch die halbdunklen Hallen, während auf den metallischen Baren in meiner Nähe Leichen auf groteske Weise aufgeschnitten und fixiert auf weitere Behandlung der Staubmenschen warten. Die Staubmenschen sind, soweit ich dem Totenschädel trauen kann, die Leute, die mich hier her brachten, wohl in der Annahme, ich sei Tot. Doch ganz offensichtlich haben sich diese Kerle geirrt, denn mein schmerzender Rücken bestätigt, dass ich leben muss.

Da hat sich einer aber ordentlich Mühe gemacht, dich zu verzieren Meister. Kein Wunder, dass die Staubis dich für tot hielten. So viele Narben auf nur einem Leib ist eine beachtliche Leistung.“ Morte schwebt um mich herum. „Die paar Kratzer auf der Brust sind nicht ALLZU schlimm… aber die auf deinem Rücken…“. Morte hält inne. „Scheint mir, du bist eine wandelnde Galerie, bei all den Tätowierungen, die du da NEBEN den vielen Narben hast. Da steht sogar was geschrieben… und nicht mal zu wenig Meister…. scheint so, als hätte man dich mit Anleitung geliefert.“ Der Totenschädel lacht hämisch und beginnt zu lesen.

Es scheint, als ob ich mir in weiser Voraussicht Hinweise auf den Rücken Tätowieren ließ, sollte ich mein Gedächtnis verlieren. Ich weiß nicht, ob mich dieser Umstand beruhigen sollte. Auf meinem Rücken steht etwas von einem Journal, welches Licht in das Dunkel meiner Erinnerungen bringen sollte. Zudem soll ich einen gewissen Pharod finden, sobald ich das Journal gelesen haben. Blöd nur, dass ich weder ein Journal bei mir trage, noch auch nur im entferntesten wüsste, wer dieser Pharod sein soll. Auch Morte kann mir diesbezüglich nicht helfen, aber zunächst sollten wir wohl tatsächlich versuchen, dieser Leichenhalle zu entkommen.

Planescape-Torment-Exotische-Schauplätze

Planescape: Torment bietet viele verschiedene und exotische Schauplätze, welche sich erfrischend vom sonstigen RPG-Einheitsbrei zu unterscheiden wissen.

Das Wort ist mächtiger als das Schwert

So beginnt also unser Abenteuer in Planescape: Torment, einem Rollenspiel, welches durch seinen Fokus auf Dialoge und Handlung zu meinen absoluten Lieblingstiteln gehört. Wir schlüpfen dabei in die Rolle des Namenlosen, welcher ohne jegliche Erinnerungen in einer finsteren Leichenhalle erwacht. Es stellt sich heraus, dass wir nicht sterben können. Kommen wir zu Tode, kehrt der Funken des Lebens nach einiger Zeit wieder zu uns zurück. Uns fehlt die Sterblichkeit und wir begeben uns auf die Suche, unsere Erinnerung als auch unsere Sterblichkeit zurückzuerlangen.

Anders als in vergleichbaren CRPGs wie der Baldur’s-Gate-Reihe, rückt der Kampf in diesem Titel in den Hintergrund. Stattdessen wird man als Spieler mit philosophischen Themen konfrontiert und kann innerhalb von Dialogen immer zwischen zahlreichen Antwortmöglichkeiten wählen, die dann auch unterschiedliche, spürbare Konsequenzen mit sich bringen. Das geht soweit, dass wir einen Großteil des Spiels in Dialogboxen verbringen und uns in ausführlichen Gesprächen mit den Charakteren und Wesen der Welt wiederfinden. Viele Konflikte können nämlich nicht nur mit dem Schwert, sondern eben auch mit bedachten Worten gelöst werden, weshalb Charakterwerten wie Charisma und Intelligenz hier einen besonders hohen Stellenwert einnehmen. Nicht umsonst wird Planescape: Torment gerne auch als „Das beste Buch, dass Du jemals spielen wirst“ betitelt.

Planescape-Torment-Bordell-zur-Befriedigung-intellektueller-Gelüste

Im „Bordell zur Befriedigung intellektueller Gelüste“ stehen Damen bereit, um sich in philosophische und intellektuelle Duellen zu messen.

Eine fremde Welt

Dieser Ansatz des „gespielten Buches“ funktioniert auch deshalb so gut, weil die Bewohner der Spielwelt tatsächlich etwas zu erzählen haben und es sich nicht nur lohnt, ihnen aufmerksam zuzuhören, sondern es zum Teil essenziell ist, um die Vergangenheit des Namenlosen aufzudecken und ein Verständnis für die Spielwelt selbst aufzubauen. Denn glaubt mir, wenn Ihr die ersten Schritte in der Stadt Sigil macht, werdet Ihr sicherlich von der Fremdartigkeit dieses Ortes erschlagen. Sigil ist eine Stadt im Zentrum des Multiversums, in welchem sich die Kampagnen-Welten von Dungeons & Dragons befinden. Durch magische Portale stehen diese Welten, Ebenen genannt, in Verbindung miteinander. Sigil im Zentrum dieser kosmologischen Ordnung nimmt eine gewichtige Position ein, denn von dort kann fast jede Ebene des Multiversums durch ein Portal erreicht werden. Wir spielen also in einem nur schwer zu erfassenden Ort, in welchem Kreaturen verschiedenster Ebenen zusammenleben und völlig absurde Ereignisse an der Tagesordnung sind. So treffen wir im Spielverlauf auf eine trächtige Mauer, welcher wir bei der „Geburt“ eines neuen Stadtabschnitts behilflich sind oder treffen auf einen kollektiven Zusammenschluss von Ratten, welche gemeinsam als „Vieler als Einer“ einen geheimen Krieg im Untergrund der Stadt gegen einen Verbund Untoter führen.

Und inmitten dieser völlig fremdartigen Welt stoßen wir immer wieder auf Spuren unserer vergangenen Existenzen, die wir Schritt für Schritt aufschlüsseln. Planescape: Torment weicht weit ab vom typischen Rollenspiel-Klischee: Statt uns als strahlender Held mit der Rettung der Welt zu beschäftigen, versuchen wir herauszufinden, was wir bereits getan haben und wie wir endlich unsere Sterblichkeit zurückerlangen. Dabei werden wir von einigen ebenfalls sehr ausgefallenen Charakteren begleitet, die ganz eigene und nicht immer offensichtliche Gründe haben, dem Namenlosen zu folgen. Auch hier sind es wieder Dialoge, die Licht ins Dunkel bringen können, sodass wir, wenn wir es denn wollen, im Verlauf des Spiels viel über unsere Begleiter und ihre Motive und Hintergründe erfahren können.

Planescape-Torment-Bezirk-der-Kuratoren

Im Spiel besuchen wir die zahlreichen Bezirke und Gebiete der Stadt Sigil, erreichen aber auch andere Ebenen, welche über magische Portale erreicht werden können.

Fazit

Planescape: Torment ist eine wahre Perle der Videospiel-Welt und ein RPG der Sonderklasse, welches statt den Fokus auf Kampf zu legen, das Wort zum höchsten Gut erklärt und damit ein dialoglastiges Gameplay bietet, welches ich in vielen RPGs der heutigen Zeit so sehr vermisse. Dass ich tatsächlich den Verlauf eines Gesprächs bestimmen kann und nicht mit einem einfachen „schwarz-weiß“-Schema abgespeist werde. Dass meine Entscheidungen Konsequenzen haben, die zum Teil nur schwer abzusehen sind. Dass ich nicht die Welt rette, sondern in eine Welt stolpere und erst lernen muss diese zu verstehen. Dass sind die Aspekte, die dieses Rollenspiel für mich ausmachen. Planescape: Torment verlangt vom Spieler, dass er sich auf dieses Spiel einlässt, belohnt diesen Einsatz dann aber auch mit einer intensiven, erfrischenden und durchaus tiefschürfenden Spielerfahrung, die mich tief in ihren Bann zog.

Wer an einer gut erzählten Geschichte interessiert ist und dabei in eine fremde und unverbrauchte Welt eintauchen will, sollte Planescape: Torment dringend eine Chance geben. Empfehlen kann ich dabei ganz klar die Enhanced Edition (auf GOG oder Steam zu haben), wobei ich den Kauf im Sale empfehlen würde (in diesen ist das Spiel oft für gut 4 Euro zu haben, was ein extrem gutes Preis-Leistungsverhältnis ist). Aber auch der „Vollpreis“ ist bei diesem Meisterwerk der Videospiel-Erzählkunst durchaus gerechtfertigt. Ich für meinen Teil hatte mit diesem Spiel nicht nur eine fantastische Zeit, sondern habe zudem sehr viel über den Dungeons & Dragons Kosmos gelernt, was mir als Spielleiter im Pen&Paper nun zugutekommt.

Und ich will enden mit der Leitfrage des Spiels, welches sich, wie andere philosophische Ansätze, immer wieder im Spiel wiederfinden lässt:

Was kann das Wesen eines Menschen verändern?“

Johann von Ti
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