Red Dead Redemption 2 – Eine Liebeserklärung

Ich sitze auf meinem Pferd und trabe durch einen dichten Wald. Der Morgen bricht an. Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen scheinen durch das dichte Grün der Bäume und wecken die Waldbewohner. Die Vögel zwitschern, in der Ferne kann man einen Kuckuck vernehmen. Vor mir springt ein Reh über den Pfad. Kurzerhand greife ich zu meinem Bogen, lege den Pfeil an, aber überlege es mir dann doch anders. Ich lasse das Reh davonlaufen. Ich komme gerade von einer langen Jagd in den Bergen und habe genug Felle auf meinem Pferd verstaut. Bevor das Tier schreckliche Todesqualen erleidet, weil ich es womöglich nicht richtig treffe, lasse ich es lieber am Leben und genieße die Bambi-Romantik der Natur.

Ich komme an einem Trapper vorbei, der hier im Wald sein Lager aufgeschlagen hat. Wie passend! Dem kann ich direkt meine Jagdbeute verkaufen. Nachdem ich ihn begrüßt habe, biete ich dem netten Herrn meine Felle an. Doch plötzlich ändert sich sein Gesichtsausdruck. Mit zunehmendem Entsetzen weiten sich seine Augen. Es scheint, als erkenne er mich und bricht unser Gespräch ab. Dann rennt er panisch davon. Ach ja, richtig! Noch vor wenigen Tagen habe ich in der Nähe eine Eisenbahn überfallen und dutzende Gesetzeshüter über den Haufen geschossen. Seitdem ist auf mich ein hohes Kopfgeld ausgesetzt. Den Deal mit dem Trapper kann ich deswegen vergessen. Aber wenigstens hat er in seiner Panik all sein Hab und Gut zurückgelassen, sodass ich die Gelegenheit ergreife und mich ordentlich bediene. Noch voll bepackter als vorher mache ich mich wieder auf den Weg.

Im nächsten Moment höre ich aus der Ferne eine Frau, die um Hilfe schreit. Jetzt ist es endgültig vorbei mit dem friedlichen Morgen. Sofort gebe ich meinem Pferd die Sporen und galoppiere wild entschlossen in Richtung der Hilferufe. Ein Pferd, auf dem ein grimmiger Mann mit großem Schlapphut sitzt, reitet in einem Affenzahn an mir vorbei. Hinten auf dem Pferd liegt bäuchlings eine gefesselte Frau. Ich erkenne die Situation sofort und nehme die Verfolgung auf. Wie ein Wahnsinniger haue ich meinem Pferd die Sporen in die Seite und galoppiere in vollem Tempo hinterher. Doch ich verliere die Kontrolle und reite gegen einen Baum. In hohem Bogen falle ich vom Pferd und all meine Felle mit mir. Ich will meine teure Beute auf gar keinen Fall zurücklassen und lade sie hektisch wieder auf. Als ich endlich wieder auf dem Pferd sitze, ist der Entführer mit der Frau längst über alle Berge…

Red Dead Redemption 2 - Arthur

Willkommen in der Welt von Rockstar’s Red Dead Redemption 2! Die oben erzählte Geschichte ist nur eine von vielen, vielen weiteren Geschichten, die ihr im Laufe des Spiels mit dem Outlaw Arthur Morgan erlebt. Ich zocke dieses Game nun schon seit über drei Monaten und habe so viele geniale Momente erleben dürfen – und trotzdem ist mir dieses mit am meisten im Gedächtnis geblieben. Es bringt drei wesentliche Eigenschaften von Red Dead Redemption 2 auf den Punkt:

1. Die unfassbare Schönheit des Spiels

Es mag abgedroschen klingen, aber dieses Spiel sieht einfach fantastisch aus. Ich ertappe mich regelmäßig dabei, wie ich staunend das Landschaftsbild in mich aufsauge. Dazu tragen auch ganz besonders die stimmungsvollen Wettereffekte bei. In den West-Grizzlies stiefelt ihr durch knietiefen Schnee, während die Sonne das Eis zum Funkeln bringt. Weiter südlich in der Holzfäller-Stadt Strawberry geratet ihr regelmäßig in ungemütliche Regenschauer und wühlt euch dort durch den Schlamm bevor ihr durch die Weiten des herrlich grünen Graslandes von New Hanover galoppiert und nach langem Ritt schließlich im feucht-schwülen, nebelverhangenen Sumpfgebiet landet. Wunderschöne Wälder, Seen und Flüsse runden die malerische Wild-West-Welt ab. Rockstar ist es gelungen, Amerika mit seinen geografischen Aushängeschildern in einer komprimierten Version für uns Gamer zugänglich zu machen und kitzelt dabei das Maximum aus der aktuellen Konsolengeneration heraus.

Red Dead Redemption 2 - Eisenbahn

2. Der hohe Realismus-Grad

Der hat mich buchstäblich aus dem Sattel gerissen. Ich zocke das Spiel nun schon so lange, dass ich mich ein stückweit an den Realismus im Spiel gewöhnt habe. Aber gerade zu Beginn gibt es so viele Momente, in denen man immer wieder aufs neue über dessen Ausprägung verwundert ist. Dein Pferd stürzt zu Boden? Die Beladung fällt natürlich auch herunter und muss erst wieder eingesammelt und aufgeladen werden. Deine Kleidung ist nach einer Jagd voller Blut? Die Leute werden dich skeptisch darauf ansprechen. Du stiefelst mit deinen Waffen durch einen tiefen Sumpf? Danach musst du deinen Revolver erstmal putzen, damit der wieder richtig funktioniert. Es gibt so viele Situationen, in denen man sein Handeln genau überdenken muss, weil es immer irgendwo Konsequenzen gibt. Es ist eine ganz andere Art von Spielerlebnis, weil man Umstände beachten muss, die ich aus anderen Spielen nicht mal ansatzweise kenne. Es gibt viele kritische Stimmen, die genau das an RDR2 bemängeln. Es entschleunige das Spiel unnötig und sei nervig. Tatsächlich ist der Western-Epos von Rockstar kein Spiel für Ungeduldige oder Gelegenheitszocker. Man muss sich für das Spiel wirklich Zeit nehmen, um sich darauf einlassen zu können. Allein um die umfangreiche (und zugegeben nicht ganz einfache) Steuerung draufzuhaben dauert es schon einige Spielsessions. Hektik-Spieler der Generation Fortnite und Co. kommen hier nicht auf ihre Kosten. Red Dead Redemption 2 ist ein Spiel zum Genießen, eins bei dem man auch mal 2 Stunden lang einen Schatz in den Bergen sucht, angeln geht oder eine Zeitung liest. Natürlich kann man auf diese Elemente auch verzichten, aber für ein vollwertiges Spielerlebnis gehört das mit dazu.

Red Dead Redemption 2 - Enten

3. Die lebendige Welt

Kennt ihr diese Open-World-Spiele, die zwar eine riesige und ach so schöne offene und lebendige Spielwelt bieten, in der es sich aber dann doch anfühlt, als würdet ihr nur mit virtuellen Puppen spielen? Ich denke da sofort an Spiele wie Assassin’s Creed Origins oder Far Cry 5 (um halbwegs vergleichbare Blockbuster zu nennen). Ihr kennt das: jeder vierte NPC sieht gleich aus, jeder dritte hat die selbe Synchronstimme… seelenlose Figuren, die dem Spieler zum Schein ins Bild geworfen werden. Von dieser Eindimensionalität ist nichts bei Red Dead Redemption 2 zu sehen. Ihr könnt mit jedem NPC interagieren. Ob ihr nun freundlich seid oder ihn bedroht und ausraubt, sei euch überlassen. Die Van-der-Linde-Gang wird für euch wie eine Familie sein. Mitglieder kommen auf euch zu und fragen gezielt nach dem, was ihr gerade erlebt habt. Wenn die Stimmung besonders gut ist, wird auch mal ein Fest gefeiert und ihr könnt mit der Bande trinken, tanzen, singen oder eine Runde Poker spielen. Das alles gliedert sich hervorragend in den Spielfluss ein. Daher wirkt es, als wärt ihr einfach nur ein weiterer Teilnehmer an dieser lebendigen Welt, in der es auch ohne euer Zutun Interaktion gäbe – die perfekte Immersion. Das gilt auch für Erlebnisse außerhalb des Bandenverstecks: Am Wegesrand trefft ihr fremde Personen, denen ihr helfen oder aber ihrem Schicksal überlassen könnt. Besonders in Städten herrscht immer ein reges Treiben und an allen Ecken und Enden gibt es Ereignisse, in die ihr eingreifen könnt. Vielleicht schaut ihr aber auch einfach nur zu, wie ein Mann von seinem Pferd tot getreten wird, um danach seine Taschen zu plündern.

Red Dead Redemption 2 - Die Bande

…und dann diese fantastische Story

Diese ganzen Aspekte spielen alle zusammen und bilden das Grundgerüst des Spielerlebnisses, auf dem sich eine fantastische Story aufbaut, die euch mit einem Höhepunkt nach dem anderen immer wieder den Atem rauben wird. Rockstar hat hier zwar inhaltlich nicht das Rad neu erfunden, die Dramaturgie und Inszenierung aber ist absolute Spitzenklasse. Ihr werdet tief in den Sog des Schicksals der Gang um den charismatischen Anführer Dutch van der Linde hineingezogen und erlebt die Entwicklung von Arthur Morgan, der das Geschehen zunehmend hinterfragt. Keine Story-Mission gleicht einer anderen und es wird wirklich alles geboten, was zu einem Outlaw-Abenteuer im Jahre 1899 dazugehört. Und sogar noch mehr: Neben eher klassischen Bandenkriegen, spektakulären Banküberfällen und Postkutschen-Entführungen, hat sich Rockstar auch viel Unkonventionelles einfallen lassen, um die Story abwechslungsreich zu gestalten. Das reicht von aberwitzigen Saufgelagen mit Bandenmitgliedern bis hin zu abenteuerlichen Fahrten in einem Heißluftballon. Kurz: Der Unterhaltungswert ist großartig.

Red Dead Redemption 2 - Action

Fazit

Dass Rockstar mit Red Dead Redemption 2 ein Meisterwerk geschaffen hat, war schon vor Release klar und hat sich danach mehr als bestätigt. So viel dazu ist schon gesagt worden und bestimmt gibt es neben den vielen, vielen positiven Aspekten auch ein paar negative, die man deutlich reflektierter ausarbeiten und diskutieren könnte. Ich befürchte allerdings, dass ich momentan nicht dazu in der Lage bin, da ich alles durch die allseits bekannte rosa-rote Brille sehe. Aber wenn ein Spiel das schafft, dann darf dieser kleine Gastbeitrag auch genau das bleiben, was er ist: Eine Liebeserklärung an Red Dead Redemption 2.

Timon
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Sp1eLmaNn
Sp1eLmaNn
31. Mai 2019 12:33

Großartig! Eine schöne Liebeserklärung! Dazu sagen kann ich leider nicht viel, da ich noch nicht dazu gekommen bin das Spiel mir zu besorgen und zu daddeln. Ich bin ein großer Verfechter der „Avantgarde“ wenn man das so nennen kann, im spielerischen Sinne wohl gemerkt, damit meine ich das – bevor ich ein Spiel spiele, mir gerne dessen Vorgänger zu Gemüte führe, insofern diese denn Systembedingt eine Option für mich darstellen. Bei RDR1 ist das der Fall. Spielen wollte ich RDR1 schon seit es releasete und ehe ich mich versah, war RDR2 da und nun wusste ich, sollte ich mich langsam… Weiterlesen »

Timon
Timon
Reply to  Sp1eLmaNn
10. Juni 2019 20:09

Vielen Dank für dein Feedback! Das freut mich sehr, dass ich dich mit meinem kleinen Beitrag zum Weiterspielen motivieren konnte. Red Dead Redemption 1 war auch wirklich ein hervorragendes Game. Damit hast du ja jetzt die perfekte Grundlage für ein fantastisches Spielerlebnis in RDR2. Ich bin ein bisschen neidisch darauf, dass du das ganze Abenteuer noch vor dir hast… Ich wünsche dir ganz viel Spaß dabei!

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