Ratzfatz durch die Mauer – Geschichte spielerisch erleben

In der Nacht des 13. August 1961 wurde in Berlin mit der Errichtung der Mauer begonnen – sie sollte die Menschen in Ost- und West mehr als 28 Jahre voneinander trennen. Dieses Jahr jährte sich der Fall der Mauer zum dreißigsten mal – anlässlich dieses Jubiläums wurde ein Smartphone-Game entwickelt, welches Kinder ab 8 Jahren spielerisch an diese Thematik heranführen soll. Bei „Ratzfatz durch die Mauer“ wird die Teilung Berlins aus der Sicht einer Tiergemeinschaft erzählt – Rabe Ratzfatz vom Rabenfunk in Berlin-Mitte berichtet über die Ereignisse des Mauerbaus und führt durch das spielerische Abenteuer, in welchem Mauerhase Viktor und Zirkusaffe Miss Magic gemeinsam versuchen, die Mauer zu überwinden, um nach Westberlin zu gelangen.

Gameplay & Steuerung

Ratzfatz durch die Mauer ist als seichtes Jump ’n‘ Run mit Rätsel-Aspekt konzipiert. Während uns Raben-Reporter Ratzfatz durch die Handlung führt, übernehmen wir im Spiel die Kontrolle über Mauerhasen Viktor und Zirkusschimpansin Miss Magic. Beide haben unterschiedliche Gründe, warum sie die Mauer überwinden wollen, doch das gemeinsame Ziel schweißt das ungleiche Duo zusammen. Im Spiel müssen wir die unterschiedlichen Fähigkeiten der beiden tierischen Gefährten kombinieren, um die Level erfolgreich abschließen zu können. So kann Viktor als Hase natürlich weit springen, aber auch enge Tunnel durchkriechen, während Schimpansin Miss Magic sich geschickt an Seilen entlanghangelt und mithilfe ihres Zauberstabs magische Tricks wirkt. Dieses einfache Zusammenspiel funktioniert, der jungen Zielgruppe entsprechend zugeschnitten, ganz gut – die „Rätsel“ bewegen sich also auf einem einfachen Niveau und sollten keine große Herausforderung darstellen.

Ratzfatz-durch-die-Mauer-Nur-gemeinsam-lassen-sich-die-Rätsel-lösen

In den ersten Leveln werden die beiden Spielfiguren zunächst einzeln vorgestellt, später agieren sie dann aber zusammen und müssen gemeinsam Hindernisse überwinden.

Meist geht es darum, mit einem Charakter einen bestimmten Ort zu erreichen und so den Weg für den anderen frei zu machen. Dafür müssen wir Schalter betätigen, Druckplatten auslösen und natürlich Kisten schieben. Leider fehlt es dem Spiel hier an Abwechslung – das Repertoire an Rätseln ist bereits in den ersten Leveln ausgeschöpft. Die Steuerung über Touch ist funktional, aber zum Teil ein wenig hakelig. Das Gameplay setzt also nicht grundsätzlich einen Schwerpunkt auf Geschwindigkeit oder Geschicklichkeit, sondern lässt uns recht gemächlich durch die Level marschieren, während wir die Rätsel lösen. Nur selten müssen wir aktiver agieren oder werden unter Druck gesetzt – das passiert immer dann, wenn das klassische Gameplay innerhalb eines Levels ausgetauscht wird. So müssen wir in einem Abschnitt auf einem fahrenden Zug entgegenkommende Hindernisse überspringen oder in einer Top-Down-Ansicht eine Lokomotive navigieren. Diese „besonderen“ Level sorgen für eine gewisse Portion Abwechslung und lockern das Spielgeschehen auf – dennoch bleibt Ratzfatz durch die Mauer spielerisch eher blass.

Setting & Story

Wie schon erwähnt, verarbeitet Ratzfatz durch die Mauer die Teilung Berlins – die Geschichte beginnt mit dem Bau der Mauer. Beobachtet und kommentiert wird dieses und folgende Ereignisse von Raben-Reporter Ratzfatz. Das Spiel erzählt uns die Geschichte in bebilderten Zwischensequenzen, welche den Plan unserer tierischen Spielfiguren aufzeigen, aber auch die historischen Hintergründe beleuchten. Das Ganze ist einfach gehalten, sodass auch die Jüngsten der Handlung folgen können und zugleich sachte an den historischen Hintergrund herangeführt werden.

Mauerhase Viktor wird bei der Flucht von seiner Freundin Trudi getrennt – während sie es in den Westen schafft, verbleibt er im Osten der Stadt. Auch Miss Magic wird vom plötzlichen Bau der Mauer überrumpelt und von ihrem Circus-Tross abgeschnitten. Gemeinsam mit Viktor schmiedet sie einen Plan, damit beide die Mauer überwinden und zu Ihren Liebsten zurückkehren können.

Ratzfatz-durch-die-Mauer-Mauerhase-im-Untergrund

Anfangs noch allein, schließt sich Mauerhase Viktor schnell mit Miss Magic zusammen – beide wollen nach Westberlin flüchten.

Inspiriert wurden die Entwickler im übrigen vom Dokumentarfilm „Mauerhase“ von Bartek Konopka und Piotr Rosolowski, in welchem das Schicksal der im Todesstreifen lebenden Wildkaninchen thematisiert wird. Dabei beschreibt der Film die Zeit der Teilung aus der Sicht der Kaninchen selbst, welchen der wahre Sinn und Zweck der Mauer unbegreiflich und fremd bleibt. Von mir eine klare Guckempfehlung!

Schauplatz des Spiels ist natürlich Berlin, welches in unterschiedlichen Stadtleveln porträtiert wird. Darunter bekannte Orte wie der Checkpoint Charlie oder der Görlitzer Bahnhof, aber auch die Abwasserkanäle unter der Stadt sowie ein Umspannwerk. Für Abwechslung ist also auch hier gesorgt und tatsächlich sind die Level nett anzusehen. Aktuell gibt es 13 spielbare Level, welche in fünf Akte gegliedert sind. Anfang 2020 sollen zudem noch zwei weitere Level ergänzt werden.

Grafik & Sound

Optisch können sich die Level also durchaus sehen lassen. Besonders haben mir die Graffiti und Plakate in den Bahnhofs-Leveln gefallen – sehr stimmig das Ganze. Zum Teil hätten die Level für meinen Geschmack jedoch etwas größer ausfallen können und besonders die Interaktionsmöglichkeiten mit der Spielwelt sind zwar vorhanden, aber insgesamt doch zu rar gesät. Alles in allem haben wir zwar schön anzusehende und, trotz der Monothematik „Berliner Mauer“, optisch abwechslungsreiche Level, die jedoch spielerisch zu wenig bieten – schade.

Dafür ist der generelle Stil des Spiels stimmig – die Handlung wird, wie bereits erwähnt, in kommentierten Bildern erzählt. Diese zeigen die Geschehnisse, Handlungsorte und Figuren – alles in einem eigenen Zeichenstil gehalten. Das ganze könnte auch glatt in einem eigenen Comicheft veröffentlicht werden – mein Favorit hier ganz klar Rabe Ratzfatz.

Ratzfatz-durch-die-Mauer-Springend-auf-dem-Zugdach

Einige Level sorgen für spielerische Abwechslung – hier müssen wir Hindernissen auf einem fahrenden Zug ausweichen.

Klanglich ist Ratzfatz durch die Mauer in großen Teilen stark – die musikalische Untermalung des Spiels ist gelungen und stimmig, dafür ist das generelle Sounddesign ein wenig schwach auf der Brust. Klettern, Hangeln und Springen – sogar die „Trampelgeräusche“ unserer Spielfiguren sind gefühlt zu laut und ermüden schnell das Ohr. Kinder mögen da weniger wählerisch sein, keine Frage, aber besonders im Vergleich zur Musik, wurde dieser Soundaspekt wohl stiefmütterlich behandelt.

Überzeugen können dafür aber die Sprecher – Santiago Ziesmer, unter anderem bekannt als deutsche Synchronstimme von SpongeBob Schwammkopf, leiht Raben Ratzfatz seine Stimme. Hase Viktor wird von Nico Artajo, Schimpansin Miss Magic von Marianne Graffam gesprochen – alles keine Unbekannten. Das verleiht dem Spiel nochmal einen besonderen Touch, auch weil alle Sprecher ihren Job sehr gut machen und die Charaktere zum Leben erwecken.

Fazit

Ratzfatz durch die Mauer versucht sich an einer schweren Kür – ein unterhaltsames Kinderspiel zu sein, welches zugleich einen historischen Schwerpunkt vermittelt. Dies will nicht so recht gelingen. Die Idee des Spiels rund um die Tiergemeinschaft von Berlin Mitte ist großartig – ein gelungener Ansatz, um Kinder an die Mauer-Thematik und die Teilung Deutschlands heranzuführen. Jedoch ist das „Kernelement“, das Spiel selbst, zu farblos. Es fehlt einfach an Abwechslung und spielerischer Finesse, um Kinder (oder generell den Spieler) bei der Stange zu halten. Kurzum: Die Idee ist toll, das Gamedesign zu schwach.

Der pädagogische Aspekt ist dafür gelungen – jedoch muss man dabei das Gesamtkonzept von Ratzfatz durch die Mauer berücksichtigen. Das Spiel für sich alleine erzählt in Fragmenten die Geschichte der Mauer und macht bekannte Gedenkstätten spielerisch erlebbar – jedoch bleibt auch das, für sich genommen, zu oberflächlich. Tatsächlich sollten diese „Ankerpunkte“ dann weiter aufbereitet werden – wofür die offizielle Website zu Ratzfatz durch die Mauer gedacht ist. Dort finden sich weiterführende und vertiefende Informationen zum Spiel, dem historischen Kontext und der gegenwärtigen Bedeutung von Mauern und Teilung in der Welt. Hier hat man, in meine Augen, ganze Arbeit geleistet – in gebündelter und kindgerechter Form sind viele Informationen wunderbar aufbereitet und laden zum eigenständigen erkunden ein.

Und das offenbart für mich auch die Kernkompetenz von Ratzfatz durch die Mauer – das ganze ist weniger als Spiel, viel mehr als „pädagogisches Instrument“ angesetzt, welches in Kombination mit der zugehörigen Website tatsächlich das Potenzial besitzt, Interesse für ein geschichtliches Thema zu wecken. Zumindest konnte sogar ich auf der Seite noch neues lernen – das Schicksal der Mauerhasen, oder dass tatsächlich eine Flucht mit einer Dampflokomotive gelang, war mir bislang unbekannt. Für Eltern oder Lehrer also durchaus geeignet, um junge Kinder an das Thema der deutschen Teilung heranführen – Chapeau!

Ratzfatz durch die Mauer ist für 3,49 Euro im Playstore und dem Appstore zu finden. Das Spiel kann in ca. 1-2 Stunden bewältigt werden. Im Januar 2020 sollen noch mal zwei zusätzliche Level ergänzt werden.

Johann von Ti
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