So schnell kann es gehen – als Netflix am Dienstag seine Quartalszahlen vorlegte, wurde diese mit größter Bestürzung aufgenommen. Erstmalig seit mehr als einem Jahrzehnt meldet der Streaming-Dienst einen Rückgang der Abonnentenzahlen. Für das nächste Quartal sollen die Zahlen weiter sinken. Statt dem bisherigen, ungebrochenen Wachstum nun also ein erster Rückschlag für den aktuellen Platzhirsch Netflix. Die Antwort an der Börse war eindeutig: innerhalb kürzester Zeit verlor die Netflix-Aktie gut 40 Prozent. Doch wo liegen die Gründe für diese Entwicklung? Und lässt sich daraus vielleicht sogar das Ende einer Ära ableiten?
Was ist eigentlich los bei Netflix?
Eigentlich sieht es zunächst alles gar nicht so wild aus: aktuell hat Netflix „nur“ 200.000 Kunden verloren und verfügt somit noch über 221,6 Millionen Abonnenten. Da man seine Geschäfte in Russland aufgab, sind allein deshalb schon 700.000 Abos verloren gegangen. Dennoch ist dies nur ein Aspekt des Negativtrends, der sich nun immer deutlicher abzeichnet. Tatsächlich stagnieren und sinken die Nutzerzahlen von Netflix weltweit, allein im schwer zu erschließenden asiatischen Markt sind noch Positivtrends auszumachen, wobei diese nicht ausreichen. Einfach gesagt, hat man sich bei Netflix wohl klar verschätzt, da man vor ca. drei Monaten noch ankündigte, 2,5 Millionen Kunden gewinnen zu wollen. Stattdessen wird für das kommende Quartal nun ein Verlust von 2 Millionen Abonnenten prognostiziert – düstere Aussichten für den einstigen „Pandemie-Gewinner“ Netflix.
Netflix konnte seine Nutzerzahlen im Verlauf der Corona-Pandemie massiv ausbauen – kaum verwunderlich, wenn weltweit Menschen plötzlich deutlich mehr Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen mussten. Doch im Rausch des Anstiegs scheint man den folgenden, schleichenden Negativtrend nicht bemerkt zu haben – oder eben nicht bemerkt haben zu wollen. Nun, von jetzt auf gleich, scheint das Unternehmen mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Zumindest entsteht der Eindruck, wenn man die Reaktion des Streaming-Giganten auf die aktuellen Ereignisse betrachtet.
Ursachen für den Negativtrend bei Netflix
Klar ist, dass Netflix mittlerweile eben nicht mehr alleine auf dem Markt ist: unlängst sind zahlreiche andere Anbieter aktiv und sorgen für eine starke Streuung des Angebots. Das bedeutet, dass immer mehr Filme und Serien nicht mehr so einfach bei Netflix im Angebot sind, sondern eben im Katalog der Konkurrenz landen. Am stärksten hat sich das unter anderem bei Disney+ gezeigt, die viele eigene Produktionen wie die Marvel-Filme von Netflix abzogen, um diese exklusiv im eigenen Dienst anbieten zu können. Da immer mehr Streaming-Anbieter auf den Markt drängen, wird es dadurch immer schwieriger, ein breites Angebot von großen Produktionen zu bieten. Ein Aspekt, der Netflix in den letzten Jahren immer recht attraktiv machte, nun aber langsam aber sicher vergeht.
Steigende Preise
Sicherlich spielt auch die Preisentwicklung von Netflix eine große Rolle: seit Jahren werden die Preise stetig erhöht. In Nordamerika, dem Heimatmarkt von Netflix, hat man zuletzt die Preise erneut angezogen und zugleich 640.000 Abonnenten verloren. Aspekte wie die Inflation oder steigende Energiepreise sorgen zudem dafür, dass das Budget zahlreicher Nutzer schrumpft, viele sich Netflix letztlich einfach nicht mehr leisten können.
Antiquiertes Abo-Modell
Verschärft wird dies auch durch das antiquierte Abo-Modell von Netflix. Das „Basis-Modell“ (aktuell 8 Euro pro Monat) von Netflix bietet zum Beispiel bis heute keine HD Qualität, wer wiederum 4K nutzen möchte, muss direkt zum „Premium“-Plan (aktuell 18 Euro pro Monat) greifen. Im Vergleich: Konkurrent Disney+ bietet 4K und die Nutzung von bis zu vier Geräten gleichzeitig bereits für 9 Euro im Monat. Im direkten Vergleich mit anderen Streaming-Anbietern wird deutlich, dass Netflix mit seinen Preisen bereits weit vorne liegt und somit mit gutem Abstand der teuerste Dienst am Markt ist. In Nordamerika zeigte sich bereits, dass diese Preisentwicklung für viele Abonnenten nicht mehr attraktiv zu sein scheint.
Thema Passwort Sharing: Netflix will neuen Kurs einschlagen
Letztlich spricht sich Netflix auch noch gegen eine gängige Praxis vieler Nutzer aus: das Teilen von Passwörtern außerhalb des eigenen Haushalts. So gehe Netflix davon aus, dass von den rund 222 Millionen Kunden ca. 100 Millionen zusätzliche Haushalte durch geteilte Passwörter den Dienst nutzen. Nicht ganz verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Netflix selbst viele Jahre aktiv mit dem Teilen des Accounts warb, auch wenn dabei nie offiziell mehrere Haushalte benannt wurden. Dennoch sollte ebenfalls klar sein, dass für viele Nutzer der geteilte Account ein Faktor ist, um weiterhin den teuersten Dienst am Markt in Anspruch zu nehmen – teilt man zum Beispiel die Kosten mit Freunden, wird das „Premium-Abo“ für viele überhaupt erst attraktiv oder eben auch bezahlbar.
Hier will Netflix nun aber aktiv eingreifen: CEO Reed Hastings gab an, dass man das „Passwort-Sharing“ wohl nicht gänzlich verbieten, dafür aber mit einem Aufpreis versehen möchte. 2021 hat Netflix bereits erste Tests durchgeführt, um dem Teilen von Passwörtern zu begegnen. Laut Hastings soll es aber noch ein Jahr dauern, bis man eine Lösung gefunden hat und mit der Umsetzung beginnt. Damit sollte es wohl ab 2023 schwieriger werden, seinen Account mit anderen zu teilen – ob sich das tatsächlich positiv für Netflix auswirkt, muss sich jedoch noch zeigen – ich persönlich bin eher skeptisch, erscheint Netflix so im Vergleich zur Konkurrenz preislich noch unattraktiver.
Werbung als Option – zukünftig werbe-gestützte Abos auf Netflix
Ein anderer Lösungsansatz, welchen Netflix nun offen anspricht, ist der Bruch mit einem ehemaligen Markenzeichen des Streaming-Giganten: Werbung. So schließt man die Einführung eines Werbe-gestützten Abonnements nicht mehr aus. Dabei sollen dann Serien und Filme ähnlich wie im klassischen Free-TV durch Werbung unterbrochen werden. Für sehr viele Nutzer war Netflix Werbefreiheit einer der Gründe, sich dem Streaming-Angebot überhaupt erst zuzuwenden.
Zukünftig soll es nun aber eine Option geben, Netflix zu einem geringeren monatliche Abo-Preis zu nutzen, dafür dann aber Werbung in Kauf zu nehmen. So Hastings:
„Eine Möglichkeit, die Preisspanne zu vergrößern, ist die Werbung auf Low-End-Tarifen und niedrigere Preise mit Werbung zu haben[…] Diejenigen, die Netflix verfolgt haben, wissen, dass ich gegen die Komplexität von Werbung und ein großer Fan der Einfachheit von Abonnements bin. Aber so sehr ich das auch befürworte, so sehr bin ich auch ein Fan der Wahlfreiheit der Verbraucher. Es macht sehr viel Sinn, den Verbrauchern, die einen niedrigeren Preis wünschen und werbetolerant sind, die Möglichkeit zu geben, das zu bekommen, was sie wollen. Das ist also etwas, was wir uns jetzt ansehen und in den nächsten ein oder zwei Jahren herauszufinden versuchen. Wir sind durchaus offen dafür, noch niedrigere Preise mit Werbung als Wahlmöglichkeit für die Verbraucher anzubieten.“
Es wird also vermutlich noch einige Jahre dauern, bis Netflix eine Abo-Modell mit Werbung auf den Markt bringt – dennoch zeigt sich hier ein klarer Bruch des einstigen Selbstverständnisses von Netflix, was wiederum einen faden Beigeschmack für den gesamten Streaming-Markt in mir hervorruft. Doch dazu später mehr.
Netflix unkoordinierte Reaktion auf den Wandel
Alles in allem erscheint die Reaktion von Netflix auf den Rückgang der Abonnenten-Zahlen und dem Einsturz der Aktie fast schon panisch. Als Außenstehender erhält man zudem das Gefühl, dass Netflix den Zugang zum eigentlichen Erfolgsmodell des eigenen Angebots verloren hat. Auf den Rückgang von Nutzerzahlen mit Preiserhöhungen zu reagieren, erscheint wenig geschickt. Auch eine Jahre lang (indirekt) beworbene Praxis wie das Passwort Sharing anzugehen und wiederum mit erhöhten Preisen zu antworten, während die Konkurrenz aktuell deutlich mehr zu einem geringeren Preis bietet, könnte den Negativtrend noch weiter befeuern. Letztlich bin ich auch skeptisch, ob ein Werbe-gestütztes Abo-Modell überhaupt von den Nutzern angenommen wird – immerhin wechselten viele zu den Streaming-Anbietern, um eben auf Werbung verzichten zu können. Natürlich ist das nur mein persönlicher Eindruck: die nächsten Jahre werden zeigen, ob Netflix neue Strategien aufgehen oder eben nicht.
Das Ende einer Ära – für Nutzer sind die goldenen Streaming-Jahre vorbei
Für Nutzer zeichnet sich jedoch bereits jetzt etwas ab: eine Ära neigt sich dem Ende zu. Die goldene Zeit der Streaming-Anbieter, allen voran Netflix, scheint langsam vorbei zu sein. Zumindest in der Form, wie wir sie bis jetzt kennen – ehemals mit attraktiven Preisen und einem hochwertigen, werbefreien Angebot, finden wir nun einen gesättigten Markt vor, auf dem nun immer mehr Anbieter agieren. Statt in preisliche Konkurrenz zu treten, wird eher über die Exklusivität des Angebots agiert. Heißt: die Preise steigen, während das Angebot der jeweiligen Anbieter tendenziell sinkt (bzw. an Qualität verliert).
Durch werbe-gestützte Modelle wird zukünftig verstärkt versucht werden, die steigenden Preise auszugleichen. Alles in allem gehen die Streaming-Anbieter letztlich den Weg des Kabel-Fernsehens. Ein nächste Etappe könnten vergünstigte Bundle-Angebote sein, bei welchen über Drittanbieter Streaming-Dienste gekoppelt werden. Solche Pakete gibt es bereits und sie werden an Bedeutung gewinnen. Dennoch sind die „goldenen“ Zeiten, als ein preiswertes Abonnement noch reichte, um eine extrem breites Angebot genießen zu können, längst vorbei.
Auch wenn Anbieter wie Disney+ heute noch preislich attraktiv wirken, werden auch dort die Preise weiter steigen. Zunächst geht es allen Anbietern vor allem um die Erschließung von Marktanteilen, danach wird die Monetarisierung angezogen. Das ist zwar ein ganz natürlicher und auch nachvollziehbarer Prozess, dennoch ist es schade, dass man die „Fehler“ des linearen Fernsehens hier einfach zu wiederholen scheint.
Letztlich müssen wir als Nutzer nun mit steigenden Kosten und einem sinkenden Angebot umgehen, bis ein neuer Wettbewerber mit einem frischen Modell den Markt erobert und erneut umkrempelt. Bis dahin muss man Abwägen, ob sich das eigene Abo noch lohnt oder ob man zum Beispiel die flexible Abo-Gestaltung nutzt und nur für wenige Monate im Jahr abonniert.
Wie seht Ihr die aktuellen Entwicklungen auf dem Streaming-Markt? Würdet Ihr auch einen Niedergang prognostizieren, oder seit Ihr eher positiv gestimmt? Schreibt gerne einen Kommentar, ich und auch andere Leser sind durchaus an Eurer Meinung interessiert!
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