Begeben wir uns auf eine Reise, um das Puzzle eines Lebens zusammenzusetzen – mit „Syberia: The World Before“ erschien der vierte Teil der Adventure-Reihe rund um die ehemalige Anwältin Kate Walker. Diese versucht im aktuellen Abenteuer die Lebensgeschichte einer geheimnisvollen Frau zu enträtseln, die unserer Titel-Heldin verblüffend ähnlich sieht. Bei der besagten Frau handelt es sich um eine gewisse Dana Roze, deren Spur sich in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verliert. Wir begeben uns also auf Spurensuche und ergründen Stück für Stück, wer diese Frau war.
Die Frau auf dem Gemälde
Für Kate Walker sieht es düster aus: nach ihrem letzten Abenteuer findet sie sich in einem sibirischen Arbeitslager wieder. In den Tiefen eines alten Salzbergwerks schürft sie nun mit anderen Häftlingen nach Relikten und Mammutelfenbein. Als sich die Chance bietet, wagt sie mit ihrer Zellengenossin und engen Freundin Katjuscha die Flucht – die beiden legen versehentlich einen alten Schacht frei, in welchem ein Zug voller gestohlener Kunstschätze des Zweiten Weltkrieges verborgen war. Hier finden sie ein Gemälde, welches eine Frau abbildet, die unserer Kate zum verwechseln ähnlich sieht. Doch es bleibt zunächst wenig Zeit zum grübeln – die Gefängniswärter sind den beiden Frauen bereits auf den Fersen und es kommt zur Konfrontation. Knapp kann Kate ihrem Gefängnis entkommen, Katjuscha überlebt die Flucht jedoch nicht.
Voller Trauer und ohne echtes Ziel vor Augen stürzt sich Kate blindlings in die Suche nach der Frau auf dem Gemälde. Haben wir es hier mit einer Verwandten zu tun oder ist das alles nur ein großer Zufall? So beginnt also unser neues Abenteuer, welches uns in die fiktive Stadt Vaghen führt. Dort soll die geheimnisvolle Frau Roze vor dem Zweiten Weltkrieg gelebt haben.
Die Handlung: ein Drahtseilakt in vielerlei Hinsicht
Syberia: The World Before verfolgt erzählerisch einen spannenden Ansatz: statt allein mit Kate im Jahr 2005 unserer Detektivarbeit nachzugehen, schlüpfen wir Episodenhaft auch immer wieder in die Rolle von Dana Roze in der Vergangenheit, deren Geschichte primär im Jahr 1937 stattfindet. Die Syberia Reihe wagt seit jeher einen Balanceakt zwischen realer Welt und fiktiven Einschüben. So ist die Spielwelt zum Beispiel stark von Steampunk-Elementen geprägt, die Stilprägend für die gesamte Reihe sind. Auch Orte und Personen sind fiktiver Natur, wobei diese zumeist klar echten Vorbildern entlehnt sind. Statt der Nazis sorgen 1937 die „braunen Schatten“ für Angst und Schrecken, welche hier nicht die Juden, sondern die Vageraner verfolgen.
Die Geschichte, die sich nun durch das Spielen beider Frauen auftut, schwankt in ihrer Qualität erheblich. Während die Idee dieser zweigeteilten Erzählung extrem spannend ist, hat man es versäumt, diese natürlich miteinander zu verweben. Im Spiel sind wir die meiste Zeit damit beschäftigt, das Leben der jungen Dana Roze zu ergründen – wer war sie, was hat sie erlebt und was ist mir ihr passiert? Das funktioniert recht gut und Danas Geschichte wird weitestgehend glaubhaft und auch spannend erzählt. Tatsächlich ist man motiviert, weitere Puzzleteile zu finden, um das Geheimnis um diese Frau zu lüften. Dabei will uns das Spiel immer wieder mit einigen Wendungen überraschen, was zumeist jedoch nicht so recht gelingen will. Viel zu oft haben wir selbst schon deutlich vor der Protagonistin Kate die richtigen Schlüsse gezogen, wodurch diese zuweilen alles andere als scharfsinnig wirkt.
Gleichzeitig bleibt die Geschichte von Kate selbst extrem flach und farblos: während der Einstieg im unwirklichen Arbeitslager einen wirklich starken Auftakt zu versprechen scheint, verliert sich dieser Handlungsstrang fast gänzlich. Zwar wird gelegentlich angeschnitten, das Kate aufgrund ihrer Vergangenheit polizeilich gesucht wird und daher die Rückkehr in ihre Heimat New York scheut, aber ohne die Vorgänger gespielt zu haben, bleiben diese Hintergründe gänzlich im dunkeln. Im Optionsmenü lässt sich zwar ein kurzes Rückblickvideo der Vorgänger auswählen, dieses half mir jedoch nicht wirklich weiter, um Kates Beweggründe zu verstehen. Aber das ist auch insofern egal, als dass Kates Handlung sowieso kaum eine Rolle zu spielen scheint – wir ergründen Dana Rozes Vergangenheit und flüchten vor den Herausforderungen unseres eigenen Lebens. Das passt zwar zur unbeständigen und hitzköpfigen Kate, hinterlässt aber doch einen faden Beigeschmack, erschien mir die Titelheldin dadurch viel zu nichtssagend und glatt.
Schade, weil die Persönlichkeit der jungen Kate Walker eigentlich das Potenzial bietet, einen spannenden Charakter mit Ecken und Kanten zu präsentieren. Stattdessen wirkt Kate in diesem Abenteuer insgesamt doch recht blass, ihre Geschichte eher grob an die von Dana Roze „geklebt“.
Optisch überzeugend
Während die Handlung also nicht immer zu glänzen weiß, überzeugt Syberia: The World Before optisch mit einem stimmigen Gesamtbild. Die meiste Zeit bewegen wir uns in der Stadt Vaghen und der näheren Umgebung – geboten werden uns dabei fantastische Stadtszenerien und wunderschöne, idyllische Berglandschaften. Wie bereits erwähnt, spielen vor allem die Steampunk-Elemente in der Reihe eine zentrale Rolle, sodass das gesamte Szenario von Automaten und Maschinen geprägt ist. Und das ist hier wirklich sehr gut gelungen – es macht Spaß die extrem detailverliebten Schauplätze zu erkunden und bis zum Ende konnte ich mich an der stimmigen Grafik kaum sattsehen. Lediglich die Animationen der Charaktermodelle wirken im Vergleich zur restlichen Optik eher schwach, trüben aber den positiven Gesamteindruck nicht.
Syberia: The World Before ist ein wunderschönes Adventure-Game, welches durch einen ganz eigenen und unverbrauchten Stil überzeugen kann und die „Magie“ der dargestellten Spielwelt eindrucksvoll zu vermitteln weiß.
Funktionale Steuerung mit einigen Problemchen
Alles andere als überzeugend fällt leider die Steuerung aus. Ein gewisses Ärgernis bildet zunächst die starre Kameraführung, die uns je nach Position eine vorgegebene Ansicht einnehmen lässt. Während das vor allem zu Beginn des Spiels noch recht anstandslos funktioniert, hatte ich vor allem im späteren Verlauf des Spiels in engen Räumen oder schwer überschaubaren Schauplätzen (Stichwort Friedhof) meine Probleme mit der sich ständig verändernden Perspektive. Zu schnell verliert man den Überblick bzw. wird in seiner Sicht so eingeschränkt, dass man den Schauplatz nur schwer überblicken kann. Doppelt ärgerlich, da die Schauplätze optisch so ansehnlich sind.
Verstärkt wird diese Problematik noch durch die zuweilen ungenaue Steuerung. Wie für Story-Adventure dieser Art üblich, bewegen wir unseren Charakter recht einfach über die Szenerie: wir klicken an eine Stelle und der Charakter bewegt sich an die entsprechende Position. Bewegen wir den Cursor in der Nähe von wählbaren Hotspots, werden diese optisch in Form weißer Kreise hervorgehoben und wir können ohne lästiges Pixel-absuchen mit diesen interagieren – super! Leider ist die Darstellung der Hotspots immer wieder problematisch, weil diese auch hinter anderen Objekten „durchscheinen“. Dadurch klicken wir einen vermeintlichen neuen Hotspot an, nur um festzustellen, das Kate einfach hinter den Schrank läuft, um ein bereits betrachtetes Plakat an der Wand zu betrachten. Das passiert immer mal wieder und nervt vor allem dann, wenn sich der anschließende Monolog des Hotspots in die Länge zieht – ich habe bislang keinen Weg gefunden, die ausgelösten Szenen zu überspringen.
Hinzukommt, dass das Anwählen der Hotspots nicht immer sauber funktioniert. Zu oft wird das Anwählen des Hotspots nicht richtig registriert, sodass Kate schnurstracks daran vorbeiläuft, was im Zusammenspiel mit der wechselnden Kameraperspektive den Spielfluss untergräbt – hier wäre noch etwas Polishing nötig gewesen.
Die Rätsel und das Gameplay
Die Qualität der Rätsel ist ein Aspekt, der besonders schwer zu beurteilen ist: insgesamt bietet Syberia: The World Before durchaus spannende und abwechslungsreiche „Rätsel“, die in der Regel aber eher leichter als schwerer Ausfallen. Für Fans von knackigen Kopfnüssen ist die Kost sogar eher Mau und ich würde sagen, man richtet sich hier eher an die Spieler, die primär eine spannende Geschichte erleben wollen. Heißt: die meisten Rätsel lassen sich recht intuitiv und mit kurzen Grübeleien auflösen – machen dabei aber in der Regel dennoch Spaß und fühlten sich belohnend an. Wirkliche Probleme gab es nur dann, wenn ein bestimmtes Objekt oder ein benötigter Hotspot nicht gefunden wurden. Das ist insofern ärgerlich, als dass manchmal nicht ersichtlich ist, warum eine Sache nicht funktioniert bzw. wonach man als Spieler jetzt zu suchen hat.
In Sachen Abwechslung spürt man immer wieder den Willen der Entwickler, für frischen Wind zu sorgen. Besonders gelungen ist die Idee, während eines Rätsels zwischen den verschiedenen Protagonisten und entsprechend den Zeitlinien zu wechseln. So müssen wie unter anderem in der Vergangenheit als Dana Informationen sammeln, die uns dann als Kate in der Gegenwart weiterhelfen. Leider wird mit diesem Element zu wenig gespielt, sodass sich das eigentliche Potenzial des Zeiten-Wechselns nicht so recht entfaltet.
Und obwohl insgesamt vor allem die Automaten-Rätsel überzeugen können, wenn wir die oft unnötig kompliziert anmutenden Maschinen in Gang setzen, fühlen sich unsere Aufgaben gegen Ende immer künstlicher an. Tatsächlich war ich auf den letzten Metern der Handlung des Öfteren genervt von den Problemen, die uns das Spiel entgegen wirft und wollte endlich die Geschichte zu einem Abschluss bringen. Es fühlte sich ein wenig so an, als hätten die Entwickler ab dem letzten Drittel des Spiels auf eine gewisse Spielzeitstreckung gesetzt, was die Handlung negativ entschleunigt. Hier hätte ich mir statt vieler kleinerer und ansonsten belangloser Rätsel lieber ein großes und abgerundetes Finale gewünscht – schade.
Fazit – eine interaktive Geschichte in wunderschönen Bildern
Syberia: The World Before ist ein ambitioniertes Adventure-Game, welches mit einer wunderschönen Optik punktet und erzählerisch spannende Ansätze verfolgt. Leider können sich diese Ansätze nicht gänzlich entfalten, sodass die Story hinter den Möglichkeiten des gewählten Doppelszenarios zurückbleibt (an ein Day of the Tentacle kommt man hier nämlich nicht heran). Besonders Titelheldin Kate geht hier neben der spannenden Lebensgeschichte von Dana Roze unter und wirkt dadurch zu blass. Die Steuerung und Kameraführung unterminieren zudem den Spielfluss, was sich aber insgesamt nicht zu negativ auswirkt. Die Rätsel sind stimmig und oft charmant in die Welt integriert, hätten aber durchaus etwas knackiger sein dürfen. Ab und an ist das Rätsel-Design nicht ganz sauber, sodass nicht logisch ersichtlich wird, woran die Lösung krankt. Gegen Ende zieht sich die Handlung künstlich in die Länge, was die Story unnötigerweise entschleunigt.
Letztlich war ich dennoch motiviert, die Geschichte der Frau auf dem Gemälde, Dana Roze, zu ergründen und habe dieses Puzzle gerne gelöst. Auch wenn die meisten Wendungen nicht so recht zu überraschen wussten, verfolgte ich diese Geschichte bis zum Ende gespannt. Das lag auch daran, dass durchaus sehr ernste Themen angesprochen werden, ohne dass das Adventure dadurch aber zu schwermütig wird.
Getragen wird Syberia: The World Before vor allem durch seine fantastische Optik. Die Schauplätze zwischen automatisierter Altstadt und natürlichen Berglandschaften schmeicheln den Augen und können die gröbsten technischen Schnitzer und erzählerischen Probleme kaschieren. Das Ganze fühlte sich für mich am ehesten wie ein interaktiver Film an, eben weil die Spielelemente zwar vorhanden, aber letztlich doch oberflächlich bleiben. Wer sich also auf ein Adventure-Game einlassen kann, welches primär eine Geschichte über wunderschöne Bilder zu erzählen weiß, ist hier an der richten Adresse. Wer stattdessen knackige Rätsel erwartet und zahlreiche Gegenstände kombinieren will, wird hier wohl nicht glücklich werden.
Spieldauer
Ich habe für meinen Spieldurchlauf gut 15 Stunden gebraucht, wobei man sicherlich schneller bis zum Ende Spiels gelangen kann. Wer sich für die malerischen Schauplätze Zeit nimmt und wie ich jeden Hotspot abgrast, wird aber sicherlich auf eine ähnliche Zeit kommen.
Preis
Syberia – The World Before ist für 40 Euro auf Steam, GOG und EPIC erschienen. Eine Version für aktuelle Konsolen soll dieses Jahr noch folgen. Der Preis erscheint mir zwar fair, ich würde selbst aber vermutlich auf einen Sale warten, da uns hier zwar ein grundsolides Adventure geboten wird, welches optisch klar überzeugen kann, aber aufgrund der genannten Mängel eben keine Offenbarung darstellt.
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