Warum Gothic 3 ein gutes Rollenspiel ist

Ein schlechtes Gothic, aber als Rollenspiel ganz brauchbar!

Ich habe mich in den letzten Wochen recht intensiv mit Gothic 3 auseinandergesetzt und zahlreiche Stunden im grünen Mittelland, eisigen Nordmar und sandigen Varant verbracht. Was mir dabei auffiel: Mit aktuellen Patches der Communty ist Gothic 3 ein verdammt gutes Rollenspiel, was ich zu Release nie so gesehen habe und vielleicht auch nicht konnte. Denn Gothic 3 hatte einfach einen Start, der schlimmer kaum hätte sein können. Das Spiel war zu Release schlicht nicht fertig, während die Werbetrommel um das deutsche „Schwergewicht“ in Sachen Rollenspiel zu jener Zeit enorm war: Bis heute erinnere ich mich an Werbespots, Pappaufsteller und zig Promo Artikel in diversen Games Zeitschriften. Da hatte Publisher JoWood ganze Arbeit geleistet und auf Teufel komm raus die Erwartungen der lechzenden Fan-Gemeinde geschürt. Alle waren so verdammt heiß auf ein neues Gothic und erste Screenshots des Spiels sahen einfach so gut aus, das für alle klar war: Das wird ein Hit.

Gothic 3 Scavenger auf einer Wiese

Hohe Erwartungen und wenig Zeit

Doch leider kam alles anders, denn JoWood wollte um jeden Preis den Release-Termin von Gothic 3 einhalten, immerhin lief die Werbemaschinerie rund um das Game seit Monaten auf Hochtouren – Am Ende kam es zum Gau – Ein unfertiges Spiel wird auf einen Markt geworfen, der mit gigantischen Erwartungen an das Spiel geht. PR als auch die Qualität der Vorgänger hatten die Spieler auf einen Titel eingestellt, der Gothic 3 wohl nie war, doch dazu kommen wir später – Denn das größte Problem von Gothic 3 zu Release waren die zahlreichen Bugs, die das Spiel zum Teil unspielbar machten. Abstürze, fehlende Items/Charakter, deutliche Lücken in der Erstellung der Spielwelt/Story und so weiter. Es fehlten neben dem Feinschliff auch einfache Grundlagen, die Gothic 3 zu Release als gutes Spiel einfach schon direkt disqualifizierten.

Gothic 3 – Eine majestätische Festung

Zu starke Vorgänger

Doch auch abseits der schlimmsten Fehler, die schon recht früh nach und nach von den Piranha Bytes bzw. dann der Community gefixt wurden, hatte Gothic 3 einen schweren Stand, der auch mir über Jahre den Zugang zum Spiel verwehren sollte. Die Vorgänger Gothic und Gothic 2 machten es so schwer, einen Einstieg in den dritten Teil der Reihe zu finden, denn hier sollten zahlreiche Änderungen in diversen Sektoren des Game Design Einzughalten – Heruntergebrochen: Die Fische wagten sich an etwas für sie neues. Gothic 3 basierte zunächst mal ganz technisch betrachtet auf einer neuen Engine, was eine völlig neue Bandbreite an Darstellungsmöglichkeiten eröffnete. Plötzlich war das ganze Gameplay dynamischer, die Welten Größer und ohne Ladezeiten, vieles detaillierte. Selbst heute schätze ich die Optik an Gothic 3, welches besonders die dichten Wälder im Mittelland extrem gut darstellt – Üppige Gräser und Farne, dicht behagende Bäume – Ein Traum. Weiterhin hatte man viele Design-Fragen neu angesetzt, sodass viel vom alten Charme verlorenging – Orks, Trolle, Goblins und Scavenger im neuen Gewand, Rüstungen und alte bekannte Charaktere kaum wiederzuerkennen – Die neuen Möglichkeiten der Engine erschwerten es enorm, optisch an die Vorgänger anzuknüpfen, was vielen den Zugang in die Welt enorm erschwerte. Leider wird der negative, optische Faktor durch Probleme im Charakter und Story Design selbst noch weiter bestärkt, indem alten Bekannte nicht nur nicht so aussehen, wie man sie kannte, sondern sich auch völlig ungewohnt verhalten. Dieses Problematik zieht sich leider durch das gesamte Spiel, sodass man nur schwer nachvollziehen kann, warum Charaktere bestimmte Verhaltensweisen an den Tag legen oder Ziele verfolgen.

Gothic 3 – Trolle im Wald

Wo zum Teufel ist Lester?!

Beispiele gefällig? Am Anfang ist die ganze Truppe um den Namenlosen Helden versammelt (bis auf Lester, der ja Verstärkung holen wollte), nachdem man sich mit einer ganzen Horde Orks angelegt hatte. Doch statt nun zu beraten, wie es weitergehen soll, geht jeder der Freunde seinen Weg und verschwindet somit einfach. Bis auf Gorn ist auch keiner gewillt, den Helden auch nur ein paar Meter zu begleiten, wobei Gorn einen zunächst nur in ein Rebellenlager bringt. Wie auch immer der alte Gauner davon Wind bekommen konnte. Milten zieht einfach los, ohne viel über seine Absichten zu verraten, Diego will wiederum einfach Gold machen, was Lester vorhat, weiß keiner und Gorn möchte einfach Orks verhauen. Das ist alles ok, aber es wird so lieblos und zweckmäßig rüber gebracht, dass man die gewohnte Verbindung zu den alten Charakteren der Reihe sofort verliert. Es sind plötzlich irgendwelche Typen, die man ab und an trifft und die man mal mitnehmen kann, zu mehr taugt das Charakter Design dann aber nicht (in der Release-Version, diverse Mods & Patches verbessern dies). Weiterhin gingen die Piranha Bytes auch im Ansatz des „Erlebens“ der Story einen anderen Weg und spielten das Konzept der „Open-World“ weit aus. Der Held findet sich in einem recht großen Land wieder, welches vom Krieg mit den Orks gezeichnet ist und kann selbst entscheiden, welcher der zahlreichen Parteien er hilft. Leider liegt hier auch ein weiterer Riss im direkten Bezug der Vorgänger, in welchem die Feindbilder schon recht klar definiert waren: Orks waren der ultimative Feind, was besonders in Gothic 2 zum tragen kommt. Auch wenn man auf Onars Hof Söldner wurde und Milizen verkloppte, war doch klar, dass man gegen die Orks ins Felde ziehen müsste. Gothic 3 erklärt die Orks aber zu einer recht intelligenten Fraktion, die wenig mit den bekannten Orks der Vorgänger zu tun hat. Das passt aber leider überhaupt nicht in die in den Vorgängern gezeichneten Welt – Für mich 2006 eines DER Probleme, warum mir Gothic 3 nicht gefiel. Plötzlich waren Orks keine echten Orks mehr und zu allem Überfluss war es notwendig, immer wieder mit ihnen zu kooperieren. Denn das „Open-World“ Konzept hatte den Ansatz, überall als „neutrale“ Kraft auszuhelfen, um ab und an entscheidend in Aktion zu treten und zum Beispiel eine Stadt von der Herrschaft der Orks zu befreien. Dafür musste man jedoch oft lange Zeit für den eigentlichen Feind arbeiten, um dessen Vertrauen zu gewinnen – Für mich damals nicht nur ungewohnt, sondern Spiel zersetzend. Ich wollte damals die Orks zurück nach Nordmar jagen und nicht für sie arbeiten. Weiterhin litt der rote Faden der Story enorm darunter, sodass man als Spieler zwar extrem frei war, wie man die Geschichte erlegte, dabei aber auch nicht wirklich gepackt wurde, weil man nicht an die Handlung gebunden war, sondern sich nach und nach etwas größerem annäherte.

Gothic 3 - Kampf in Varant

Als Rollenspiel stark, als Gothic schwach

Gothic 3 hat sich einfach nicht in das bekannte Gothic Universum gepasst und sich damit selbst ausgeschlossen – Damit war Gothic 3, besonders nach den gröbsten technischen Patches, zwar ein durchaus tolles Rollenspiel, aber nie ein gutes Gothic. Und das hatte mich Jahre über Jahre vom Spiel ferngehalten, weil ich ein Gothic erwartete, was Gothic 3 mir nie bieten könnte. Gothic 3 muss tatsächlich irgendwie als eigenes Spiel betrachtet werden, welches man gar nicht weiter hinterfragt. Aus Gothic 1 und 2 gewonnen Vorstellungen und Werte müssen über Bord geworfen werden, denn ungewollt hat der dritte Teil der Reihe sich so weit entfernt, dass man hier etwas anderes erhält. Gothic 3 ist ein wirklich gutes Rollenspiel und macht enormen Spaß, denn tatsächlich bietet die gigantische Spielwelt eine gewisse Komplexität, die man in anderen Spiele vergeblich sucht. Die Fraktionen machen grob gesehen Sinn, Ihre Interessen zum Teil auch (nicht immer vollständig, aber für ein RPG im Fantasy Setting ist es genug). Man trifft auf eine enorme Vielfalt in Flora und Fauna, aber auch bei der Architektur der Städte, dem Design der Fraktionen, der Auswahl an Waffen und so weiter. Man erlebt einfach eine Menge in Gothic 3 und je weniger man an die Vorgänger denkt und Parallelen ziehen will, desto besser geht das Konzept des Spiels auf und man verliert sich in dieser Welt. Wie lange bin ich durch Mittelland gezogen, bis ich mich so gut orientieren konnte, ohne Karte umherzuwandern. Weiterhin entdeckt man bis zuletzt immer wieder neue Orte und gewisse Geheimnisse, was den Entdecker-Geist fördert. Auch merkt man dem Spiel an, wie viel Potenzial das Projekt hatte, denn einige Details im Spiel fielen mir ganz stark auf: So gibt es so viele Sprachfiles die allein zu Unterstreichung der Atmosphäre dienen, dass es mich gewundert hat. So sagen Sklaven, die gerade putzen, dass sie doch hoffen, dass wir „wenigsten keine schmutzigen Schuhe“ tragen. Ganz ehrlich; Das hat mich tatsächlich überrascht, denn dieser Satz hat keine wirkliche Funktion. Es ist eine einfache Bemerkung eines Sklaven auf unser Erscheinen in seinem „Arbeitsumfeld“, was genial ist. Neben genannten Satz gibt es da noch eine ganze Reihe von Beispielen, die man erst nach längerem spielen nach und nach wahrnimmt. Die Welt ist tatsächlich lebendig, das große Ganze funktioniert für sich ganz gut, wir bewegen uns tatsächlich durch eine eine Fantasy Welt, was einfach nur Spaß bereitet. Gothic 3 hat dabei eben ganz andere Schwerpunkte und Ansätze als seine Vorgänger – Ist für sich eben ein gutes Rollenspiel, aber am Ende des Tages ein schlechtes Gothic.

 

Johann von Ti
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